… und dazwischen Gott??
Doris sitzt mir gegenüber und erzählt mir, was sie schon alles für ihren Kollegen versucht haben. Er hatte einen Unfall, wurde krank und jetzt suchen sie einen Platz, wo er noch eingeschränkt arbeiten kann. Klaus führt mich zu Werner an der Schleifmaschine und der erklärt mir begeistert von seiner Aufgabe. Schnell ist das Gespräch bei dem Kollegen, der letzte Woche verstorben ist. Dieter bittet mich, mit ihm und seinen Kollegen zu reden, wie sie mit all den Konflikten in ihrem Betrieb zurechtkommen können. Sie wollen ein friedliches Miteinander erreichen. Erika liegt die Gesundheit ihrer Kollegen am Herzen, die sehr unter Druck stehen. Und Uwe nimmt kein Blatt vor dem Mund, wenn es darum geht, dass es beim Stellenabbau einigermaßen gerecht zugeht, dass keiner chancenlos bleibt. Sie alle sind Betriebsräte und setzen sich für andere ein, dort an ihrem Arbeitsplatz, wo sie tagtäglich sind.
Ein Ort, an dem Gott, Kirche, Religion offensichtlich erst mal nicht vorkommt. Hier riecht es nicht nach Weihrauch sondern nach Abgasen, nicht nach frisch geputztem Pfarrheim, sondern nach muffigen Betriebsratsbüros. Es klingt nicht nach Orgel, Chor oder Glocken sondern nach dem Dröhnen von Maschinen oder dem Klappern von Tastaturen. Hier hängt wohl selten ein Kreuz, häufiger schon die Gewerkschaftsfahne.
Und dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass Gott hier ganz nahe ist, hier irgendwo mittendrin, zwischen Doris, Uwe, Klaus und wie sie alle heißen. Selten habe ich so viel Zuwendung gespürt, so viel Menschlichkeit, soviel Aufmerksamkeit und Engagement für die täglichen Sorgen der anderen. Und ich erlebe, dass es stimmt, was der reformierte SchweizerTheologe Leonhard Ragatz schon vor über achtzig Jahren geschrieben hat:
„Bildet Euch nicht ein, wo man Religion, vielleicht sogar viel Religion habe, da sei auch schon Gott da, aber wo man keine Religion habe, da sei er nicht da. Gott in seiner Wirklichkeit, ist etwas ganz anderes als Religion. Gott in seiner Wirklichkeit ist nur da, wo Gerechtigkeit ist, Menschlichkeit, Freiheit, Liebe, und er ist überall da, wo diese sind.“