1. Mai 2015 Rede am Aufseßplatz


Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich schlage die Zeitung auf und schalte den Fernseher ein. Und was lese ich, und was höre ich: Es geht uns doch gut! Was wollen wir mehr? Ich höre es täglich: Die Arbeitslosenzahlen erreichen ständig neue Tiefstände, der Arbeitsmarkt strotzt vor Kraft – heißt es. Die deutsche Wirtschaft wächst und der Dax klettert von einem Höchststand zum nächsten. Der Konsumklimaindex steigt und die Bürger sind in Kauflaune. Ganz Europa beneidet uns. Und man könnte sich fragen: Was wollen wir mehr? Und dann gehe ich in Betriebe oder spreche mit Arbeitslosen: Das Ganze hat seinen Preis. Denn dieses „Es geht uns gut!“ hat eine dunkle Kehrseite, und die heißt: Ein Gespenst geht um in unserem Land! – Deswegen steht hier eine Gruppe von Gespenstern. Es sind Kolleginnen aus unseren kirchlichen Arbeitslosenberatungsstellen. Und wir gehen heute mit, um ein Zeichen zu setzen: Denn es gibt jede Menge Gespenster auf der Kehrseite der täglichen Erfolgsmeldungen, Gespenster, die unsere Gesellschaft immer mehr spalten, in arm und reich, und in den Teil, der gut mitkommt, und den Teil, der durchs Raster fällt. Denn was nicht vermeldet wird im Freudentaumel des wirtschaftlichen Erfolges ist der Preis, den viele dafür bezahlen:
- Denn warum sonst sollten sich Arbeitgeber jetzt darüber aufregen, dass sie für den Mindestlohn Arbeitszeiten aufschreiben müssen – nur um mit politischer Hilfe weiterhin eine Lizenz zum „Bescheißen“ zu erhalten und um weiter Dumpinglöhne bezahlen zu können?
- Warum sonst werden ganze Betriebsteile in eigene GmbHs ausgegliedert, um Tariflöhne zu unterlaufen und Arbeit so billig wie möglich zu machen?
- Warum sonst wird ein profitabler Betrieb aus der Stadt verlegt und die über 100 Beschäftigten bleiben lautlos auf der Streck? – Schließlich haben wir ja einen Sozialstaat, soll der sich kümmern, wenn das Unternehmen dabei seine Zahlen verbessern kann.
- Warum sonst steigen immer mehr Arbeitgeber aus der Tarifbindung aus, um die Lohnkosten zu minimieren und den Profit zu maximieren?
- Warum sonst können junge Menschen nie eine Zukunft planen, weil sie aus den Dauer-Befristungen nicht heraus kommen?
- Und warum sonst sollten die noch jemand interessieren, die aus der Spirale von Arbeitslosigkeit und Armut nicht mehr heraus kommen, weil sie nicht mehr „verwertbar“ sind für diese Wirtschaft – und weil sie mit menschenunwürdigen Hartz IV - Sätzen nicht nur aus der Arbeitswelt, sondern aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden.
10 Jahre Hartz IV – das sind 10 Jahre Ausgrenzungspolitik – wahrlich kein rühmliches Jubiläum
Warum sonst – wenn nicht all das der Preis ist, der für den Erfolg gezahlt wird, der uns täglich in Hochglanzbildern vor Augen geführt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
erlaubt mir als Betriebsseelsorger an der Stelle ein ganz kurzes Bibelzitat. Jeder kennt es und keiner wird es ablehnen: „Du sollst nicht töten!“
Und ich zitiere an der Stelle auch unseren jetzigen Papst Franziskus, der genau zu dieser derzeitigen Situation gesagt hat:
„Diese Wirtschaft, die tötet!“ Und er sagt ein klares „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Ungleichverteilung der Einkommen“
Und er sagt mit einem weltweiten Blick der Solidarität auf die Benachteiligten, die den Preis für dieses Wirtschaften zahlen:
„Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die „Wegwerfkultur“ eingeführt. ….
Die Ausgeschlossenen sind nicht nur „Ausgebeutete“, sondern Müll, „Abfall“.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Was wollen wir denn, es geht uns doch gut“ – die Frage ist, wem geht es gut und wer bleibt auf der Strecke?
„Die Arbeit der Zukunft gestalten wir!“ - Wir sind heute dabei und gehen mit als Gespenster, um solidarisch zu sein
- Solidarisch mit all denen, die weiterhin durchs Raster fallen und abgehängt werden
- aber auch solidarisch mit Euch allen, für eine Zukunft mit guter und gerechte Arbeit für alle.
Und ich schließe noch einmal mit einem letzten markanten Satz von Papst Franziskus:
„Die Würde des Menschen und das Gemeingut gelten mehr als das Wohlbefinden einiger, die nicht auf ihre Privilegien verzichten wollen.“
Vielen Dank!
