Arbeitsbedingungen fair gestalten, nicht Arbeit entwerten
Notwendiges Management für eine gute Zukunft
Erklärung angesichts der starken Zunahme von Leiharbeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen:
Arbeitsbedingungen fair gestalten, nicht Arbeit entwerten
Notwendiges Management für eine gute Zukunft
Den Wandel in der Arbeitswelt und seine zunehmend negativen Folgen für die Beschäftigten nehmen wir Betriebsseelsorger/-innen in unserer Arbeit tagtäglich wahr. Dabei beobachten wir einen Trend weg von guter, geschützter Erwerbsarbeit hin zu prekären, ungeschützten Arbeitsverhältnissen (Zeitarbeit, Mini-, Midi- und Teilzeit-Jobs, Befristungen usw.). Diese zunehmenden Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt führen dazu, dass eine verlässliche Lebensplanung - vor allem auch für Familien und (Allein-)Erziehende - immer schwieriger werden, das Vertrauen in eine gute Zukunft und die Marktwirtschaft schwinden, die Verunsicherungen bei den Beschäftigten zunehmen und in den Betrieben Belegschaften erster und zweiter Klasse entstehen.
Diese Entwicklung können und wollen wir nicht unwidersprochen hinnehmen. Arbeit muss einen Vorrang vor den Interessen des Kapitals und der Wirtschaft haben und den Menschen dienen. Die Würde des arbeitenden Menschen verlangt nach menschenwürdigen, fair gestalteten und abgesicherten Arbeitsbedingungen und einem Einkommen, das die gesellschaftliche Teilhabe aller ermöglicht.
Dabei berufen wir uns ganz bewusst auf das Sozialwort der Kirchen von 1997:
„So lange die Erwerbsarbeit die existentielle Grundlage für die Sicherung des Lebensunterhaltes, die soziale Integration und persönliche Entfaltung des einzelnen ist, ist es die Aufgabe einer sozial verpflichtenden und gerechten Wirtschaftsordnung, allen Frauen und Männern, die dies brauchen und wünschen, den Zugang und die Beteiligung an der Erwerbsarbeit zu eröffnen. Ihnen sollen die mit der Erwerbsarbeit verbundenen Chancen der Teilnahme, der sozialen Integration, der Existenzsicherung und der persönlichen Entfaltung eröffnet werden.“ (Nr. 168).
Mit der Stellungnahme ‚Arbeitsbedingungen fair gestalten, nicht Arbeit entwerten’ beschreiben wir Betriebsselsorger/-innen, was es aus unserer Sicht für eine zukunftsfähige Ausgestaltung von Arbeit(sbeziehungen) braucht, was dem heute entgegensteht und welche Forderungen wir deshalb erheben:
1. Was wir in der Zukunft brauchen
1.1. Schutz statt ungeschützter Arbeit: Seit 2003 ist die Anzahl der prekären, ungeschützten Arbeitsverhältnisse - bedingt durch die Deregulierung der rot-grünen Bundesregierung und die Förderung der Zeitarbeit - sprunghaft angestiegen. Besonders Familien, Alleinerziehende sowie junge Menschen leiden zunehmend unter der Abnahme guter Erwerbsarbeitsplätze. Bei der Gestaltung der Erwerbsarbeit und ihrer Entlohnung sind zukünftig die Rahmenbedingung der Arbeitnehmer/-innen für ihre Erziehungs- oder Pflegetätigkeit in den Familien nachhaltig zu berücksichtigen.
1.2. Keine Angst vor dem Berufsstart: Ausbildung und Berufseinstieg bilden eine Lebensphase, in der sich junge Menschen ihrer Stärken in der beruflichen Praxis vergewissern können. Doch der Eintritt in die Arbeitswelt wird für manche zu einer hohen, angstbesetzten Hürde. Wir brauchen die jungen Menschen, ihre Bildung und ihre Fähigkeiten, wenn wir weiterhin den Wohlstand in unserer Gesellschaft erhalten wollen. Der Hinweis auf den Fachkräftemangel durch die demografische Entwicklung unterstreicht nur die Notwendigkeit vielfältiger Bildungsanstrengungen zum Berufsstart und während des Erwerbslebens. Auf die Zukunft hin arbeiten deshalb alle Bildungseinrichtungen eng zusammen bei der Gestaltung der Ausbildung und der Förderung der jungen Generation.
1.3. Erwerbsarbeit bleibt der Schlüssel zur Sozialen Frage: notwendig für eine lebens- und familiengerechte Existenzsicherung ist eine gerechte Entlohnung, die auch eine Vorsorge für das Alter ermöglicht. Die Vorsorge setzt eine gerechte Beteiligung der Arbeitgeber an der finanziellen Absicherung der Lebensrisiken im Rahmen der sozialstaatlichen Solidarität voraus. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt in allen Arbeitsverhältnissen, ein gesetzlicher Mindestlohn verhindert Armut trotz Arbeit und reduziert staatliche Transferleistungen. Arbeit erfolgt unter Bedingungen, welche die physische und psychische Gesundheit und eine grundlegende Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zum Ziel haben.
1.4. „Vertrauen ist der Anfang von allem“: Vertrauen und Verlässlichkeit als Grundlage wirtschaftlichen Geschehens benötigen die Garantie fairer Arbeitsbedingungen und die Beteiligung der Beschäftigten an betrieblichen Fragen. Vertrauen setzt Wertschätzung voraus und spiegelt sich in gegenseitigem Respekt wieder.
1.5. Transparenz und Mitbestimmung: Alle Beschäftigten eines Unternehmens sind Teil der Wertschöpfung. Sie sind Subjekte des wirtschaftlichen Geschehens. Als solche haben sie ein weitgehendes Recht auf Mitbestimmung und Transparenz.
1.6. Langfristige Bindung von Wissen und Erfahrung. Unternehmen leben vom „know how“ ihrer Beschäftigten. Deshalb dürfen die Beschäftigten erwarten, dass die Fürsorgepflicht der Betriebe sich auch auf die Verlässlichkeit ihrer Lebensplanung erstreckt. Sich als Teil eines Betriebes zu verstehen, setzt Motivation zu Neuem frei. Unbefristete Arbeitsverhältnisse schaffen Vertrauen auf beiden Seiten.
2. Realitäten, die diese Zukunft bedrohen
2.1. Familien sind bedroht: Längst haben sich familien- und sozialunverträgliche Arbeitszeiten im Niedriglohnbereich in unserer Erwerbsgesellschaft massenhaft verfestigt. Aktuell erhalten im Wirtschaftsaufschwung nach der Krise 2008 - 2010 nur 15 % der Neueingestellten eine feste, unbefristete Einstellung. Wer als Leiharbeitnehmer/-in arbeitet, ist im Durchschnitt nur 3-4 Monate im Entleihbetrieb beschäftigt; zudem nur zu durchschnittlich 70% des Lohnes der Stammbelegschaft.
2.2. Bildungskonkurrenz statt -förderung: Die gestiegenen Anforderungen in vielen Betrieben und die mitgebrachten Defizite aus der schulischen Bildung oder im sozialen Verhalten verstärkt die Bildungskonkurrenz besonders zwischen Hauptschülern und jungen Menschen mit anderen Bildungsabschlüssen. Hauptschülern stehen von etwa 340 anerkannten Ausbildungsberufen nur 40 offen und auch dort steigt die Konkurrenz, so dass viel zu wenige Schulabgänger mit Hauptschulabschluss eine Lehrstelle bekommen.
2.3. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse als Instrument der Spaltung: Einstellungen erfolgen derzeit vor allem in Leiharbeit, mit Werksverträgen oder zumindest in befristeter Form mit deutlich ungeschützteren und existenziell unsichereren Vertragsbedingungen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse fordern von den Arbeitnehmer/-innen gleiche Leistung ab bei meist deutlich geringerer Entlohnung und einem Höchstmaß an Flexibilität. Solche Einstellungen sind längst strategische Instrumente zur dauerhaften Reduzierung von Personalkosten und zur Risikoverlagerung auf die Schultern der Arbeitnehmer/-innen. Vor allem Leiharbeit als Arbeitsverhältnis auf Dauer spaltet im Entleihbetrieb die Belegschaften, führt zu Motivations- und Qualitätseinbußen und macht bei vielen Betroffenen eine weitergehende sozialstaatliche Unterstützung nötig. Prekäre Arbeit macht arm oder hält in Armut!
2.4. De-Regulierung – Freiheit für wenige, Entwürdigung für viele: Die geräuschlose Freisetzung tausender Leiharbeitnehmer/-innen in der Krise zeigte: Eine Entriegelung der gesetzlichen Schutzbestimmungen auf dem Arbeitsmarkt vermehrt massiv die Ängste um die existenzielle Absicherung und vor dem Verlust der Arbeit genauso, wie sie eine Gewinnmaximierung auf dem Rücken aller Beschäftigten forciert. Wir beobachten, dass im Namen der Freiheit bzw. des freien, ethisch nicht gebundenen Marktes den Beschäftigten zwar alles abverlangt wird, eine solidarisch-gesetzliche Minimierung von persönlichen Risiken jedoch zunehmend abgebaut wird. Ideelle Werte und die Motivation vieler und vor allem junger Menschen werden so entwertet, ihre Würde mit Füßen getreten.
2.5. Erschwernis von Betriebsratsarbeit: In Leiharbeitsfirmen gibt es kaum gewählte Betriebsratsgremien, da die Beschäftigten sich selten vernetzen können. Es besteht wenig persönlicher Kontakt, da jeder und jede an unterschiedlichen Orten eingesetzt wird. Ansätze zu Betriebsratsgründungen werden von Firmenleitungen häufig blockiert. Leiharbeiter/-innen werden in Entleihfirmen als Fremdarbeiter eingestuft, die nicht vom dortigen Betriebsrat vertreten werden und die nicht an den üblichen Sozialleistungen des Betriebes teilhaben.
2.6. Werkverträge schaffen keine Zukunft. Neben der Leiharbeit und zur Unterlaufung des Mindestlohns etabliert sich zunehmend die Praxis der Werkverträge: Beschäftigte werden projekt- oder aufgabenorientiert zeitlich befristet angestellt. Beschäftigte treten dabei nicht selten als Dienstleister auf. Betriebe, die Werkverträge in Auftrag geben, ignorieren bewusst Arbeits- und Tarifrechte.
3. Deshalb: Umdenken für eine Gute Arbeit und eine lebenswerte Zukunft!
3.1. Balance und Vereinbarkeit: Für jeden Menschen ist es wichtig, eine gute Balance zwischen Erwerbsarbeit und Familienleben, freiwilligen Engagement und ungebundener Zeit zu finden. Menschen, die das nicht schaffen, leiden zunehmend unter Depressionen und Burnout. Diese Gefahren für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind besonders in der Zeitarbeit sehr hoch. Vielfach ist es für sie unmöglich, ihrer familiären Verpflichtung der Kindererziehung oder der Pflege in eine gute Balance zu den Anforderungen der Erwerbsarbeit zu bringen. Die Vereinbarkeit von familiären und sozialen Verpflichtungen und ein bedarfsgerechtes Einkommen für die Familien sind die unabdingbaren Voraussetzungen guter Arbeit und guten Lebens in unserer Wohlstandsgesellschaft.
3.2. Zukunftsfähigkeit durch die Entfaltung der Begabungen: Mit der gelingenden Integration junger Menschen in die Bildungs- und Arbeitsgesellschaft erweist sich die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Alle Talente sind wertvoll und müssen sich entfalten können. Wir sollten unseren Blick ändern und die Begabungen der jungen Menschen in den Mittelpunkt stellen und von da aus Defizite und Vermittlungshemmnisse überwinden.
3.3. Politik: Armut in Arbeit und Alter verhindern – der Gier Grenzen setzen. Das System der Sozialen Marktwirtschaft beruht auf einer hohen Akzeptanz und Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Die Politik muss endlich Regelungen treffen, um armutssichere Arbeitsverhältnisse zu gewährleisten. Rekordgewinne von Unternehmen unmittelbar nach der Krise bei gleichzeitiger Rekordverschuldung der Kommunen schreien nach einer gerechteren Beteiligung der Unternehmen sowie der einkommensstarken Schichten an sozialstaatlichen wie infrastrukturellen Aufgaben (Bildung u.a.): Gier braucht Grenzen.
3.4. Gleichbehandlung aller Arbeitsverhältnisse: Leiharbeit muss gesetzlich auf enge Kriterien begrenzt werden. Die von ihr Betroffenen dürfen nicht einem mehrfachen Risiko ausgesetzt werden. Leiharbeit ist im Entleihbetrieb zeitlich zu befristen, die Anzahl der Leiharbeitnehmer/-innen in der Personalliste aufzuführen. „Equal pay“ hat vom ersten Tag an zu erfolgen. Kettenbefristungen werden untersagt. Eine Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis erfolgt unbefristet. Ebenso werden Leiharbeitnehmer vollständig über die Mitbestimmung/Betriebs- oder Personalrat im Betrieb betreut.
3.5. Betriebsrat muss Standard sein: Leiharbeitsfirmen ab einer Größe von fünf Beschäftigten müssen einen gewählten Betriebsrat haben. Für den Betriebsrat bedarf es einer besseren Freistellungsformel als bisher im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen, da der Aufwand der Beschäftigtenbetreuung größer ist. Ferner ist das Territorialprinzip anzuwenden, d.h.: Beschäftigte der Leihfirma werden im Entleihbetrieb wie eigene Mitarbeiter behandelt und vertreten.
3.6. Ein Betrieb – eine Belegschaft: Betriebe, die zukunftsorientiert planen und arbeiten, setzen auf eine Belegschaft, die sich mit den Zielen und Produkten des Betriebes identifiziert. Mit verlässlichen, unbefristeten Arbeitsverhältnissen wird ein „corporate identity“ geschaffen. Identität setzt Akzeptanz voraus sowie Motivation und Innovationskraft frei. Ziel muss die Bildung einer Stammbelegschaft sein, die in Ablauf und Planung einbezogen wird. Zwei- oder gar Drei-Klassen-Belegschaften sind zu verhindern, da sie die Belegschaft spalten. Werkverträge sollen nur unter klar definierten Bedingungen als Ausnahmeregelung zugelassen werden. Niemand, der von außen kommt, darf unter schlechteren Bedingungen als die Stammbelegschaft arbeiten.
Die Teilnehmer/-innen der Bundesfachtagung der Kath. Betriebsseelsorge
Fürstenried, 9. Juni 2011