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Arbeitslosenberatung: Seismograph für soziale Ungerechtigkeit

ÖPN 02.2013
Datum:
Veröffentlicht: 22.2.13
Von:
entschaej

Arbeitslose haben keine Lobby

Coburg. Arbeitslose haben keine Lobby. Viele fühlen sich tief verletzt, ihrer Würde beraubt und als hilflose Bittsteller. Ursache dafür sind die mit den sog. Hartz IV Reformen einhergehenden Rahmenbedingungen, die Leistungsempfänger dem grundsätzlichen Verdacht aussetzen Sozialschmarotzer zu sein. Das Schicksal der Arbeitslosen darf den Christen nicht gleichgültig sein, formulierte Eduard Adam, Vorstand der alt-katholischen Gemeinde in Coburg, in seiner Begrüßung. Das Vorbereitungsteam des Ökumenischen Politischen Nachtgebets hatte sich die Situation der Langzeitarbeitslosen zum Thema gemacht und fragte provokant: „Sind die Langzeitarbeitslosen die Sparbüchse der Republik?“

Christina Adam von der Arbeitslosenberatung der kath. Betriebsseelsorge sieht für die vielen Frauen, Männer und Kinder, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, vor allem die geringen Regelsätze, die viel zu niedrigen Richtlinien für die Obergrenze der Kosten für die Unterkunft und das Misstrauen, das in den Jobcentern den Betroffenen entgegengebracht wird, als Problemlagen, die verändert werden müssen. Viele ALG II Bezieher fühlen sich großem Druck und einer Flut von Repressalien vonseiten des Jobcenters ausgesetzt, eingeschüchtert und ohnmächtig angesichts drohender Kürzungen, Sanktionen oder gar Entzug der Leistungen und der Schwierigkeiten bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Hinzu kommt der Zwang in Niedriglohnarbeit, die doch wieder nicht zum Leben ausreicht und keine Perspektiven eröffnet. Mathias Eckardt, DGB Regionsvorsitzender Oberfranken West bestätigt die Schwierigkeiten der Betroffenen mit den Regelsätzen auszukommen. Ein Regelsatz von 5,21 € z.B. für eine gesunde Ernährung am Tag ist nicht ausreichend. Kritisch sieht er wie von Seiten der Regierung mit den Sozialkassen umgegangen wird. Die Absenkung der Arbeitslosenversicherung führt dazu, dass die Agentur für Arbeit Kredite aufnehmen muss um handlungsunfähig zu bleiben. Die Folgen bei der Absenkung der Rentenbeitragsätze führen, das zeigen aktuelle Untersuchungen, zu leeren Rentenkassen. Stefan Trebes, Geschäftsführer des Jobcenters Coburg Stadt, beschreibt besonders die Frauen und Männer, von Langzeitarbeitslosigkeit bedroht, die wenig qualifiziert, nicht mobil und mit anderen Vermittlungshemmnissen belastet sind. Dazu gehören kranke, alleinerziehende und auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das Jobcenter ist in seinen Vermittlungsbemühungen eines er erfolgreichsten in der Republik. Für jedes Hemmnis wird versucht ein Instrument zu finden, das die Vermittlungschancen erhöht. So zahlt das Jobcenter Einstiegshilfen in einen neuen Job oder auch den Führerschein.

Streitpunkte in der Diskussion entstanden an der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes. Trotz intensiver Werbekampagnen wurden bundesweit, und auch in Coburg, die dafür vorgesehen Mittel nur etwa zur Hälfte ausgeschöpft. Arbeitslosenberaterin Christina Adam hält das Bildungs- und Teilhabepaket nicht für geeignet, Bildung und Teilhabe armer Kinder am soziokulturellen Leben zu ermöglichen. 10.-€ im Monat für den Vereinsbeitrag oder für den Musikunterricht reichen eben nicht aus. Auf dem größten Teil der Kosten bleiben die ALG II Empfänger sitzen. Sie müssen sich die Musikstunden vom Mund absparen, so die Arbeitslosenberaterin. Stadträtin Bettina Lesch nahm dazu Stellung und zeigte auf, dass die Stadt Coburg gerade für die Kinder mit kostenloser Betreuung , einer günstigen Mittagsverpflegung und organisierter Hilfe in den sozialen Brennpunkten weitreichende Unterstützung bietet. Angela Platsch sieht trotz der bundespolitischen Vorgaben noch Chancen die Situation der Langzeitarbeitslosen und besonders der Kinder auf kommunaler Ebene zu verbessern.

Einen weiteren Streitpunkt bilden die Richtlinien für die Kosten der Unterkunft, das zeigt sich bei den Hilfesuchenden, die Frau Adam aufsuchen. Die meisten begleichen einen Teil ihrer Miete aus dem Regelsatz zur Existenzsicherung, das heißt es bleibt zu wenig zum Leben. Offensichtlich stimmt die Berechnungsgrundlage für die Richtlinien der Kosten für Miete nicht, meint die Arbeitslosenberaterin, in Coburg gibt es zu wenige Wohnungen, die nach diesem Satz bezahlt werden können. Viele trauen sich nicht dagegen zu klagen, weil sie befürchten aus ihren Wohnungen ausziehen zu müssen. Die Arbeitslosenberaterin sieht Handlungsbedarf in Coburg die Kosten der Unterkunft anzupassen und stieß bei den Teilnehmern der Diskussion auf Verständnis.

Frank Meixner, vom kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt, einer der Veranstalter des Nachtgebetes, unterstrich die Notwendigkeit der Arbeitslosenberatungsstellen. Sie sind Seismographen für ungerechte Entwicklungen. Gerade in Coburg mit der hohen Durchschnittsarbeitslosigkeit zeigt sich, bei allen anerkennenswerten Projekten der Vermittlung, dass die strukturelle Ungerechtigkeit Menschen in echte Existenznöte bringt. Diesen Menschen muss sich Kirche an die Seite stellen. Es ist ein Glück, dass wir neben den Allgemeinen Sozialen Beratungsstellen von Caritas und Diakonie, in Coburg diese Fachberatung der katholischen Betriebsseelsorge haben. Arbeitslose brauchen eben eine Lobby.

So spricht der Herr: Das ist ein Fasten, wie ich es liebe. die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen. Jes 58 6;7

 

ÖPN II 02.2013