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Arm trotz Arbeit: Dr. Manfred Böhm über die Folgen des zunehmenden Niedriglohnsektors in den Unternehmen

Datum:
Veröffentlicht: 25.4.07
Von:
Heinrichsblatt - Andreas Kuschbert

Lebensgrundlage der Familien wird zerstört

Herr M. arbeitet 40 Stunden in der Woche bei einer Leiharbeitsfirma. Er bekommt dafür aber so wenig Lohn, dass es für ihn und seine Familie nicht reicht, um angemessen leben zu können. Eine Situation, die sich nicht in China oder Osteuropa abspielt, sondern in Deutschland. Ein Szenario, das Dr. Manfred Böhm und seine Kollegen von der katholischen Betriebsseelsorge allwöchentlich bei ihren Besuchen in Betrieben erleben. „Die normalen Arbeitsplätze nehmen immer mehr ab“, so Böhm im Gespräch mit dem Heinrichsblatt.

Statt einem tariflich abgesicherten, unbefristeten Arbeitsverhältnis sind heute niedrig bezahlte und meistens auch befristete Arbeitsstellen die Normalität in vielen Unternehmen. „Damit hat natürlich keiner mehr eine Sicherheit für seine Lebensplanung“, konstatiert der Leiter der Arbeitnehmerpastoral im Erzbistum Bamberg. Nach Böhms Aussage haben fast eine Million Empfänger des Arbeitslosengeldes II zwar eine Arbeit, brauchen aber zusätzliche Hilfe, um über die Runden zu kommen. „Manche haben sogar mehrere Jobs,“ weiß Manfred Böhm. „Aber trotzdem langt bei ihnen das Geld nicht für ein menschenwürdiges Leben in dieser Gesellschaft.“ Nach seiner Aussage sind Bruttostundenlöhne von 4,50 Euro ein „sozial-ethischer Skandal“.

Von Seiten der Politik werde immer wieder die „demographische Zeitbombe“ beklagt, „aber wie soll ein junger Mensch Perspektiven entwickeln, eine Familie gründen und Kinder haben, wenn er ständig auf der Suche nach Arbeit ist oder einfach zu wenig verdient?“ Dr. Manfred Böhm: „Das ist politische Heuchelei.“

Eng mit dem Geld verbunden sei auch die „Frage der Würde“, sagt Böhm und verweist auf die Diskussion um Unter- und Oberschicht. So gingen von 100 Kindern aus der Oberschicht 86 auf weiterführende Schulen, 81 auf Hochschulen. Von 100 Kindern aus der so genannten Unterschicht gehen 36 auf weiterführende Schulen und elf auf Hochschulen. Manfred Böhm: „Dabei sind die Kinder nicht etwa dümmer. Ihre Orientierung ist einfach anders. Sie müssen oftmals arbeiten, damit ihre Familie überleben kann. Über das Geld werden die Lebenschancen verteilt.“

Auch sieht der Betriebsseelsorger mit großen Stirnrunzeln die immer größer werdende Lücke zwischen horrenden Vermögen auf der einen Seite und dem stetig wachsenden Niedriglohnsektor auf der anderen Seite. In diesem Zusammenhang verweist Manfred Böhm auf die katholische Soziallehre und ihre alte Forderung nach einem gerechten Lohn. Dazu wird auch ein wichtiges Kriterium genannt: „Die gerechte Entlohnung für die Arbeit eines Erwachsenen, der Verantwortung für eine Familie trägt, muss dafür ausreichen, eine Familie zu gründen, angemessen zu unterhalten und ihr Fortkommen zu sichern.“

Würde diese Aussage laut Böhm ernst genommen werden, „dürfte es eigentlich keinen Niedriglohnbereich geben. Denn wer will ernsthaft behaupten, mit Stundenlöhnen um die 5 Euro könne man in unserem Land eine Familie angemessen ernähren?“. Vielmehr zerstörten Niedriglöhne die Lebensgrundlage der Familien, führten direkt in Kinderarmut und Bildungsnotstand. Das Schlagwort aus den USA „Working poor“, was soviel bedeutet wie „Arm trotz Arbeit“ mache inzwischen auch in Deutschland die Runde.

Betroffen sind vor allem Ungelernte; keine Ausbildung zu haben, bedeutet heutzutage ein hohes Risiko. Und Manfred Böhm nennt dazu Zahlen: Von 3000 Hauptschulabgängern in Nürnberg haben im vergangenen Jahr gerade mal 300 einen Ausbildungsplatz gefunden. „Hier wird es einer ganzen Generation unmöglich gemacht, an der Gesellschaft teilzuhaben.“ Noch schlimmer wird die Situation für Arbeitnehmer, die ungelernt und dann auch noch zu alt für den Arbeitsmarkt sind. Hier ist nach Böhms Worten das Abrutschen in die Armut schon vorprogrammiert.

Angesichts dieser Tatsachen gebe es eine große Angst unter den Beschäftigten in den Betrieben mit der Folge, dass Viele vieles mit sich machen lassen, angefangen von Lohnkürzung bis hin zu unangemessenen Arbeitszeiten. „Hartz IV ist für die ganze Arbeitswelt eine Katastrophe“, führt Manfred Böhm weiter aus. „Es führt zur Entsolidarisierung in den Betrieben, führt zu einem Abtauchen, um ja nicht aufzufallen.“

So seien Unternehmen nicht mehr eine soziale Einheit, sondern eine „Maschinerie zur Beglückung der Aktionäre“. Dass aber Arbeitskraft mehr als ein Kostenfaktor ist, wird laut Böhm nicht gesehen. „Dabei wird über die Arbeit doch ein Vermögen und eine Kaufkraft verteilt, die unverzichtbar ist.“ Statt der volkswirtschaftlichen gebe es nur noch die betriebswirtschaftliche Sicht in den Unternehmen – eine Sicht, die eine Verteilungsgerechtigkeit nicht mehr zulasse.

INFO
Zum Thema „Arm trotz Armut“ findet am 30. April in der Bamberger Fußgängerzone ab 16 Uhr eine ökumenische Aktion statt, bei der an mehreren Stationen das Thema beleuchtet werden soll.