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Aus-geschlachtet! Für menschenwürdige Arbeit statt Ausbeutung in der Fleischindustrie

Datum:
Veröffentlicht: 28.5.20
Von:
Bundeskommission Betriebsseelsorge, Ingrid Reidt

Stellungnahme der Katholischen Betriebsseelsorge Deutschland zur Situation von Werkvertragsarbeitnehmer*innen in der Fleischwirtschaft und anderen Gewerken

Der eklatante Anstieg von Covid-19 Infektionen und die Erkrankung hunderter osteuropäischer Arbeitsmigrant*innen in der fleischverarbeitenden Industrie hat im ganzen Land Empörung ausgelöst. Zu Recht: Unhaltbare, teils menschenunwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen durch unseriöse Werkverträge, überteuerte, unhygienische (Sammel-)Unterkünfte und Armutslöhne sind Ursache für zutiefst unmenschliche Zustände – nicht nur in der fleischverarbeitenden Industrie, sondern auch bei Erntehelfern aus Osteuropa. Unzählige Frauen und Männer werden seit Jahren in Knebelverträgen physisch und psychisch verschlissen und in einschlägigen Branchen auf im wahren Sinn des Wortes unerhörte Weise „ausgeschlachtet“. Sie sind es nun, die mangels Schutz dem Virus ausgesetzt sind, in Massen erkranken, und um ihre Gesundheit, manche um ihr Leben ringen.

Als Betriebsseelsorger*innen in Deutschland können und wollen wir die erneut eskalierte Situation von Arbeitsmigrant*innen in Deutschland nicht hinnehmen:

Was in der Fleischindustrie aber auch vielen anderen Branchen geschieht, ist ein ethischer Skandal. Seit langem. Covid-19 wird lediglich zum Brennglas für das, was vorher bereits unerhörte Normalität war.

Das Einfallstor für Ausbeutung und Eskalation ist die legale Möglichkeit von Werkvertragsvergabe an Subunternehmen: Wirtschaftliche Haftung und soziale Verantwortung wird an „Dritte“, an Dienstleister, abgegeben. Subunternehmer heuern zu Niedrig- und Armutslöhnen an, oft Arbeitnehmer*innen aus Osteuropa, und zwängen sie in unterschiedlichste Abhängigkeiten. Sogenannte „Wohn-Werksverträge“ kombinieren Lohndumping mit Wuchermieten für schäbige winzige Unterkünfte. Diese Verträge schaffen einen Teufelskreis von Abhängigkeiten und Ausbeutung und grenzen an „moderne Sklaverei“, die ethisch und menschlich inakzeptabel ist.

Seit Jahren mahnen wir daher gemeinsam mit der Gewerkschaft NGG und Beratungsstellen des DGB-Projekts „Faire Mobilität“ die Missstände im System an. Zu Recht protestieren in diesen Tagen auch Bürger wie z.B. Prälat Peter Kossen mit seinem Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit e.V.“ in Coesfeld lautstark gegen die ausbeuterischen Strukturen in der Fleischindustrie vor Ort.

Es wird höchste Zeit, dass vielerorts das Unerhörte endlich Gehör findet.

Die angekündigten Verbesserungen beim Gesundheits- und Arbeitsschutz und deren strengere Kontrollen durch (personell gut ausgestatte) Behörden sind ein erster, notwendiger Schritt.

Doch es braucht eine grundlegende politische Intervention.

Als Betriebsseelsorger*innen in Deutschland fordern wir die Verantwortlichen von Politik und Wirtschaft auf, Maßnahmen zu ergreifen, die Ausbeutung von Arbeitsmigrant*innen strukturell verhindern. Wichtig ist eine einschlägige Reform oder sogar die Abschaffung von Werkvertragsvergabe an Subunternehmen. Nur so lässt sich das Aushöhlen von Arbeitsrecht vermeiden und Zuständigkeiten für soziale Verantwortung klar benennen. Denn nur so lassen sich arbeits- wie sozialrechtlichen Verstöße ahnden und Ausbeutung auf Kosten Schwächerer unterbinden.

Unsere uneingeschränkte Solidarität gilt zuerst und vor allem den von Ausbeutung und Krankheit betroffenen Kolleg*innen in den Fabriken und Gewerken. Ihnen wissen wir uns aus der moralischen und sozialen Verantwortung unseres christlichen Glaubens zutiefst verpflichtet.

Kontakt zu diesem Thema:
Ingrid Reidt, Betriebsseelsorge, Weisenauer Str. 31, 65428 Rüsselsheim, E-Mail: ingrid.reidt@bistum-mainz.de
Wolfgang Herrmann, Betriebsseelsorge, Jahnstr. 30, 70597 Stuttgart-Degerloch, E-Mail: wherrmann@bo.drs.de

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In der Bundeskommission Betriebsseelsorge arbeiten Arbeitnehmer- und Betriebsseelsorger*innen aus dreizehn Diözesen zusammen. (https://betriebsseelsorge.de/bundesweit)
Sprecher der Bundeskommission sind derzeit Christian Bindl, Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum München und Freising, und Richard Wittmann, Leiter der Betriebsseelsorge im Bistum Regensburg.
 
Christian Bindl, Betriebsseelsorge, Pettenkoferstr. 8/V, 80336 München, E-Mail: CBindl@eomuc.de
Richard Wittmann, Betriebsseelsorge, A.-Kolping-Platz 1, 92637 Weiden, E-Mail: r.wittmann@betriebsseelsorge-regensburg.de