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„Der Arbeit ein menschliches Antlitz geben“

Datum:
Veröffentlicht: 18.6.10
Von:
Kuschbert

Empfang der katholischen Betriebsseelsorge für die neu gewählten Betriebsräte in St. Augustin Coburg

Ein Signal zum gemeinsamen Aufbruch und zur gegenseitigen Ermutigung war der Empfang, zu dem die katholische Betriebsseelsorge die neu gewählten Betriebsräte aus den Bereichen Coburg, Kronach und Lichtenfels in das Coburger Dekanats- und Pfarrzentrum St. Augustin eingeladen hatte. Unter dem Leitsatz „Der Arbeit ein menschliches Antlitz geben“ waren sich Vertreter aus Gewerkschaft und Kirche sowie die gewählten Vertreter der Arbeitnehmer einig, dass der Mensch im Arbeitsprozess nicht zum bloßen Produktionsmittel oder gar Kostenfaktor degradiert werden dürfe. Betriebsseelsorger Norbert Jungkunz freute sich, dass in der Region insgesamt etwa 70 Prozent aller wahlberechtigten Beschäftigten an den eben abgeschlossenen Betriebsratswahlen teilgenommen hätten. Die Veranstaltung sollte den Auftakt zu einer breiten Vernetzung der Betriebsräte in Nordwestoberfranken bilden. Regelmäßige Folgeveranstaltungen sollen dem Erfahrungsaustausch und der gegenseitigen Stärkung dienen. An der Premiere nahmen unter anderem Betriebsräte der HUK Coburg Versicherungsgruppe, des Baur Versands Burgkunstadt, der Industrieunternehmen Waldrich, Kapp und Brose in Coburg, San Gobain Rödental sowie Willi Schillig in Ebersdorf teil. Eckardt Schneider von der Betriebsseelsorge hatte eine Holzskulptur des Kronacher Bildhauers Heinrich Schreiber („Der Blaumann, der sich nach der Decke streckt“) mitgebracht. Der Blaumann symbolisierte den kleinen Werker in der globalen Arbeitswelt. Schneider stellte die bedingungslose Liebe Gottes zu jedem einzelnen Menschen heraus, der deshalb als wertvoll und teuer anzusehen sei. So solle der Blaumann dazu anregen, die Augen zu öffnen, wenn Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gefährdet sind. Dekan Raimund Reinwald erinnerte daran, dass die Schöpfungsgeschichte aus dem Buch Genesis/1. Mose jedem Menschen eine einzigartige Würde zuspreche. „Er wird als Ebenbild Gottes geschaffen“, sagte der Pfarrer von St. Augustin. „Immer dort, wo Menschen in entwürdigenden Verhältnissen leben müssen, entwürdigende Arbeit tun müssen, handeln Menschen gotteslästerlich.“ Ein Menschenbild, das sich am Gottesbild orientiere, sei Korrektur und Zielperspektive für jedes menschliche Handeln. „Die biblische Vision von Arbeit mit menschlichem Antlitz setzt auf Solidarität und gemeinsamen Kampf gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung.“ Reinwald erinnerte an Moses, der sich für die israelischen Zwangsarbeiter in Ägypten quasi als eine Art Betriebsrat beim Pharao eingesetzt habe (Buch Exodus/2. Mose). Beispiele für einen Mindestlohn zitierte Reinwald aus dem Neuen Testament. Weiter mahnte er den Erhalt der Sonn- und Feiertagsruhe nicht nur aus religiösen Gründen, sondern auch eben als gemeinsame freie Zeit möglichst vieler Menschen an. DGB-Regionsvorsitzender Mathias Eckardt forderte eine Besinnung auf die Werte von guter Arbeit, Gerechtigkeit und Solidarität. „Wir haben verhängnisvolle Jahre von Deregulierung, Privatisierung und zügelloser Globalisierung erlebt.“ Resultat sei die schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 1930er Jahren gewesen. „Diese Gesellschaft muss dringend in Ordnung gebracht werden, in eine gute, in eine soziale, in eine solidarische Ordnung.“ Große Unterschiede Eckardt kritisierte immer größere Einkommens- und Vermögensunterschiede zwischen arm und reich, zwischen Frauen und Männern, zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitslosen. Ein verbaler Seitenhieb galt auch den jüngsten Sparbeschlüssen der Bundesregierung. Eckardt verteidigte die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben, die seit 1920 mit dem damaligen Betriebsrätegesetz, dem Vorläufer des heutigen Betriebsverfassungsgesetz, gelte. Eckardt betonte weiterhin: „Demokratie im Betrieb schützt die Arbeitnehmer vor unternehmerischer Willkür, sichert den Betriebsfrieden und stärkt die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.“ Stephan Sartoris vom DGB Rechtsschutz wies auch auf die unangenehmen Seiten der Betriebsratsarbeit hin, wenn es etwa gelte, bei Kündigungen eine Sozialauswahl zu treffen. Er sagte, es sei manchmal notwendig, der Arbeitgeberseite die Stirn zu bieten, um der Arbeit ein menschliches Antlitz zu geben. Mit Arbeiterliedern und Liedern aus der Frauenbewegung umrahmte der Lichtenfelser Chor „Frauenklänge“ den Empfang der Betriebsseelsorge.

(erschienen im Heinrichsblatt Nr. 25/2010)