Der Kampf um die Zeit

Gewerkschafter und Betriebsseelsorge diskutierten mit Erzbischof Ludwig Schick
Das Leben macht keine Überstunden. Wie sieht angesichts dessen die Verteilung der Zeit der Arbeitnehmer aus? Wie sieht es aus mit dem Verhältnis von Zeit und Geld, welche Folgen haben neue Formen der Flexibilisierung? Brauchen wir doch mehr Müßiggang? Seit vielen Jahren gibt es in der Erzdiözese Bamberg einen Dialog zwischen Vertretern von Gewerkschaften, den katholischen Betriebsseelsorgern und Erzbischof Dr. Ludwig Schick über soziale und gesellschaftliche Fragen. „Der Kampf um unserer Zeit“ war das Zusammentreffen überschrieben, zu dem man sich kürzlich in der Geschäftsstelle von IG Metall und DGB in Bamberg traf. Vertreter aus acht Gewerkschaften, zwischen Münchberg und Nürnberg ansässig, nahmen an der Veranstaltung teil.
„Zeit vor Geld?“ Diese Frage stellt sich nach Aussage von Stefan Winnerlein heute deutlicher als in der Vergangenheit. Der stellvertretende Geschäftsführer der IG Metall Ostoberfranken erinnerte an eine Umfrage unter Beschäftigten, was ihnen wichtig sei. Danach hatten sich die meisten für mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit ausgesprochen. Sie wollen Zeit haben für die Kinder, für die Pflege von Angehörigen, für Weiterbildung, Ehrenamt oder auch Erholung. Winnerlein verwies auf neue Regelungen beim letzten Tarifabschluss. Danach können Arbeitnehmer jetzt in besonderen Situationen zusätzliche freie Tage erhalten. Es gebe auch ein Recht auf mobiles Arbeiten und Verträge mit einer verkürzten Vollzeit, die vor allem Frauen helfe, die Teilzeitfalle zu umgehen. Es sei viel erreicht worden. Jedoch brauche es bei einer sich verändernden Arbeitsgesellschaft viele weitere innovative Ideen für den Arbeitsprozess. Winnerlein sprach sich auch für ein „vernünftiges“ Bildungsgesetz in Bayern aus, das die Weiterqualifizierung besser ermögliche.
Rita Wittmann kommt aus einer anderen Sparte. „Zeit ohne Maß?“ war ihre Frage hinsichtlich neuer Formen der Flexibilisierung im Groß- und Einzelhandel. Sie verwies auf „erzwungene“ Teilzeitarbeit. Im Handel gebe es eine niedrige Wochenarbeitszeit, lange Ladenöffnungszeiten, häufig auch eine kurzfristige Benachrichtigung über die Arbeitszeit. Arbeitgeber wünschen, dass Zeitengpässe im Team, in der Filiale geregelt werden. Viele Betriebe hätten keine Form der Mitbestimmung. Um niedrige Löhne zu rechtfertigen, werde oft der Boom des Online-Handels herangezogen. Die Zahl der von Altersarmut bedrohten Arbeitnehmer bezifferte sie auf 70 Prozent. So müsse weiter über das Thema Ladenschluss diskutiert werden wie auch über die Sonntagsöffnung. Die Ausweitung der Öffnungszeiten und der Rückgang der Belegschaft stünden nicht im Einklang.
Der Leiter der Betriebsseelsorge, Dr. Manfred Böhm, plädierte in seinem Beitrag „Zeit für mich“ für mehr Müßiggang und eine „rechte Mischung“ aus selbstbestimmtem Leben und Arbeit. Es sei ein Umdenken erforderlich: Zeitsouveränität müsse in den Mittelpunkt des Nachdenkens gestellt werden.
Zahlreiche weitere Äußerungen aus dem Blickwinkel verschiedener Gewerkschaften machten, deutlich, wie wichtig und wie weiterhin regelungsbedürftig das Verhältnis von Arbeitszeit und Verdienst angesichts einer sich ändernden Arbeitswelt ist. Hierzu müsse an Strukturen gearbeitet werden.
Erzbischof Schick stellte die Frage, warum es in manchen Bereichen „uncool“ sei, Zeit zu haben. Er weitete den Blick darauf, was Menschen mit mehr Zeit anfangen. Dies könne - etwa durch Reisen - zu einer stärker Klimabelastung führen, könne die Nutzung des Internets verstärken. „Wir müssen mit der Zeit ins Gespräch kommen“ forderte er und regte an, auch den Zusammenhang von Zeit und Gemeinschaft zu betrachten. “Wir brauchen Zeit um aus Individualismus und Populismus herauszukommen.“ Dies müsse gesamtgesellschaftlich diskutiert werden.