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Der tägliche Kampf um ein menschenwürdiges Leben: Im Gespräch mit Hartz-IV-Empfängern

Datum:
Veröffentlicht: 6.9.07
Von:
Heinrichsblatt - Brigitte Pich

"Lieber essen wir Butterbrot"

Ingrid Richter*, 51 Jahre, Klaus Bach*, 67 Jahre und Claudia Bernstein*, 42 Jahre: Drei unterschiedliche Menschen, drei unterschiedliche Biografien, Wünsche und Erfahrungen. Und doch haben sie eines gemeinsam: den täglichen Kampf um ein menschenwürdiges Leben.
"Oft ist in der Mitte des Monats einfach kein Geld mehr da", sagt Claudia Bernstein. Die alleinerziehende Mutter einer zehnjährigen Tochter ist froh, dass ihr da die Neustädter Tafel "Iss was" dmit ihren Ausgabestellen in Neustadt/Aisch, Bad Windsheim, Scheinfeld ung Uffenheim weiter hilft, wie sie im Gespräch mit dem Heinrichsblatt verrät. "Mit Harz IV auskommen ist unmöglich". Ohne Tafel ginge es einfach nicht mehr. Und jetzt, wo die Lebensmittel teurer werden, Milch, Gemüse, Brot, Backwaren...?
"Ich habe die Ernährung eh schon komplett umgestellt". Einseitig sei die Ernährung, das sagen auch die beiden anderen am Tisch. "Man muss nehmen was man bekommt".

Festkosten wie Versicherungen, Strom und Heizkosten machen den Betroffenen enorm zu schaffen auch Ingrid Richter. Hinzu kämen die Schulden ihres Mannes, der sie mit drei Kindern und rund 60.000 Miese hat sitzen lassen. Schulden, die ihr die Luft abschnüren. Sie unterbricht einen Moment bevor sie weiter erzählt, wischt sich mit der Hand ein paar Tränen aus dem Gesicht. "Ich war selbständig bis vor zwei Jahren", erzählt sie. Welcher Arbeitnehmer würde unter diesen Bedingungen eine 51-Jährige nehmen? Ohnehin würde sie nur halbtags arbeiten wollen, da ihr die Zukunft ihrer Kinder - sie sind 10, 12 und 13 Jahre alt - wichtiger sei. Als die Arbeitsagentur sie auf einen ganztägigen Computerlehrgang geschickt hatte, habe zuhause ein richtiges Lotterleben geherrscht. "Nein, lieber essen wir Butterbrot".
Für die Kinder da zu sein, das ist allen Dreien wichtig, auch Klaus Bach, den seine Frau mit Schulden sitzen gelassen hat, versucht seine Tochter trotz allem zu unterstützen. Er kocht zum Beispiel. Eine Katastrophe sei es für ih gewesen als ausgerechnet am Geburtstag seiner Tochter der Herd kaputt ging. er wollte doch etwas besonderes kochen. Anschaffungen aus dem Hartz-IV-Budget? Das stellt die Betroffenen vor schier unlösbare Herausforderungen. "Aber einen Herd braucht man wirklich". Claudia Bernstein und Ingrid Richter nicken. 40 Euro habe Klaus Bach für einen "Neuen" gezahlt. "Die haben wirklich weh getan".

Claudia Bernstein, die als Optikerin und ehemals leitende Angestellte über 40 keine Stelle findet, ärgert die Darstellung in der Öffentlichkeit. Es sei einfach keine Verbesserung gewesen für Sozialhilfeempfänger zu Hartz IV. Die wenigen Euros mehr würden bei weitem die früher gezahlten Sonderleistungen nicht ausgleichen. Im Gegenteil. Gab es früher Beihilfen für Bekleidung, Schulmaterial, oder Anschaffungen wie Herd und Waschmaschine, müsse dies nun alles aus dem monatlichen Budget mitfinanziert werden. "In vielen Medien-Berichten", bedauert Claudia Bernstein, "wird der Eindruck vermittelt, mit Hartz IV kommt man hin. das stimmt einfach nicht".
In manchen Monaten sei schon am Anfang alles Geld für Schulmaterial weg. "Es darf einfach nichts dazu kommen". In der Regel tut es das aber.

Der tägliche Kampf, die tägliche, zeitaufwendige, oft nervenaufreibende Suche nach Dingen die man braucht. Keine Luxusartikel. "Ich weiß wirklich nicht, wo ich noch sparen oder mich einschränken könnte", sagt Claudia Bernstein. "Ich weiß es wirklich nicht". Claudia Bernstein, Klaus Bach, Ingrid Richter - sie tauschen sich aus, diskutieren, nenn ihre "Geheimtipps". Welche Möbelbörsen gibt es, welcher Metzger gibt abends überige Ware günstiger ab. "Ich verlange dann auch schon mal Hundefutter beim Metzger," gesteht Ingrid Richter. "Das ist genau so gut, oder?" Sie sieht zu ihrem Sohn, der neben ihr sitzt und zustimmend nickt.
"Unter Druck kommen einen Gedanken, auf die man vorher nicht gekommen wäre", weiß Claudia Bernstein. Man frage Freunde, nehme Hilfe an, entwickle neue Konzepte. Früher hätte ich mit Freunden nicht darüber gesprochen." Da habe sie schon über ihren Sahctten springen müssen. Auch zur Tafel sei sie erst auf Drängen von Freunden gegangen.
Mit der Zeit habe sich ihr Freundeskreis verändert. "Teilweise geht man einfach nicht mehr hin, weil man sich nicht jedes mal erklären will, warum man nichts mitbringt". Da fühle man sich erniedrigt, als Mensch dritter Klasse. Schwierig sei die Situation vor allem für die Kinder. Nicht nur wenn es um den Verzicht von Markenprodukten gehe. Kindergeburtstage? "Meine Kinder werden oft eingeladen", sagt Ingrid Richter. "Das tut richtig weh". Und sie fügt hinzu: "Ich gebe da mehr aus als für meine eigenen Kinder an Weihnachten". Selbst hätten ihre Kinder schon seit einigen Jahren auf eine Feier verzichtet. "Man kan da nicht mithalten".
"Bei euch ist nichts geboten", heißt es dann. Und Claudia Bernstein bestätigt: "Die Geschenke, die die Kinder mitbekommen, sind größer als das von meiner Tochter mitgebrachte Geburtstagsgeschenk". Bei ihr gebe es nur noch selbst Gebasteltes oder eine Einladung zum Picknick. "Das geht auch".

Anders sieht es da aus mit Computer und Internet, schon in den unteren Klassen Standard für Hausaufgaben. Hinzu kämen regelmäßige Schulfahrten, mit dem Lehrer Pizza-Essen-Gehen, Kopiergeld, Handarbeitsgeld.... Unternehmungen mit den Kindern seien kaum möglich, der Besuch in Palm Beach oder in Geiselwind. Meist scheitere so etwas schon an den Fahrtkosten. Generell ein großes Problem auf dem Land.
Die Eltern stecken zurück, verzichten auf so manches. "Vieles war früher selbstverständlich", erinnert sich Claudia Bernstein: "Den Bruder in Stuttgart besuchen, mit Freunden mal Essen gehen oder ins Kino". Heute kämen gute Freunde eben auf einen Fernsehabend vorbei.
Rotz und Wasser habe Ingrid Richter geheult, als sie das erste Mal mit vollen Tüten von der Tafel nach Hause kam.
Bitter sei es für Klaus Bachs Tochter, wenn die Enkelin ihrer Mütter fürnf Euro geben will, weil sie weiß, dass deren Portmonee mal wieder leer ist. Fünf Euro von zehn Euro Taschengeld im Monat. "Man muss eine dicke Haut kriegen", sagt Claudia Bernstein. Die anderen nicken.

* Alle Namen von der Redaktion geändert