Erzbischof Dr. Ludwig Schick suchte Kontakt zu Rothenburgs größtem Arbeitgeber
„Auf die Menschen zugehen“
ROTHENBURG – Die regelmäßige Besichtigung von Unternehmen und Betrieben zählt bei Politikern und Wirtschaftsvertretern zum Pflichtprogramm, um sich über Fertigungsmöglichkeiten, Produktionsabläufe, konjunkturelle Entwicklung und Beschäftigten-Situation zu informieren. Neu für Rothenburgs größten Arbeitgeber war der Besuch eines hohen geistlichen Würdenträgers. Der Erzbischof von Bamberg, Dr. Ludwig Schick, suchte das Gespräch mit Werkleitung, Betriebsrat und Mitarbeitern, um die Beziehung zwischen Kirche und Gesellschaft zu pflegen.
Die Orientierung an Gemeinwohl und Solidarität sind heute wichtiger denn je im Einsatz gegen Klimawandel, Neugestaltung der Finanzmärkte, Abbau von Sozialleistungen, aber auch bei den Bemühungen, dass Erwerbsarbeit ein Einkommen sichert, von dem man auch leben kann. Nicht, wenn es vielen Einzelnen gut geht, wird es auch der Mehrheit gut gehen, sondern wenn die Gesellschaft sich entwickelt, hat der Einzelne am meisten davon. Wie das Wirtschaftssystem hat sich auch die Katholische Soziallehre in den letzten 120 Jahren weiterentwickelt, damit eine menschenfreundliche Ethik stärker Eingang in das öffentliche Bewusstsein findet.
Ein bis zwei Betriebsbesichtigungen absolviert der ranghohe katholische Bischof in der bayerischen Kirchenprovinz pro Jahr, „denn für die Menschen ist die Arbeit ein wichtiger Teil ihres Lebens.“ Die Erzdiözese Bamberg ist eine von sieben bayerischen Bistümern und deckt ein großes Territorium ab: der Regierungsbezirk Oberfranken, große Teile von Mittelfranken, aber auch Teile von Unterfranken und der Oberpfalz gehören mit dazu – von Coburg im Norden bis Rothenburg im südlichsten Zipfel.
Der Kontakt zum Rothenburger Electrolux-Werk kam über die in der Katholischen Sozialbewegung verwurzelten Betriebsseelsorge des Bistums Bamberg zustande, die Betriebs- und Personalräte bei Belangen der Arbeitnehmerschaft berät und begleitet. Mit einem freundlichen „Grüß Gott“ entstieg der 61-Jährige seinem Dienstwagen und freute sich über den netten Empfang durch Werkleiter Johann Reindl, Führungskräfte und die Betriebsratsspitze Rainer Kretschmer und Josef Himberger. Auch der Ansbacher Regionaldekan Hans Kern und Pfarrer Harald Sassik sowie Pfarrgemeinderat Dr. Friedrich Weinschrod von der katholischen Kirchengemeinde St. Johannis in Rothenburg begleiteten den Bamberger Erzbischof bei seinem Werksbesuch.
Zweieinhalb Stunden nahm sich der gebürtige Marburger Zeit zum Zuhören und für Gespräche. Aufmerksam verfolgte er die Ausführungen zur Fabrik, die kürzlich ihr 50-jähriges Bestehen feierte, und innerhalb des weltweit agierenden schwedischen Mutterkonzerns zu den produktivsten Fertigungsanlagen gehört. Vor allem aber interessierte sich der Bischof und Seelsorger für die Personalstruktur am Standort Rothenburg mit seinen 1150 Mitarbeitern. Darunter 150 Hochschulabsolventen (Ingenieure, Betriebswirte), 250 Facharbeiter und 260 Mitarbeiter mit kaufmännischen oder anderen Berufsabschlüssen. In der Lehrwerkstatt werden momentan vierzig junge Industriemechaniker ausgebildet.
Erstaunt hörte der Bischof, dass in der Entwicklungsabteilung zehn offene Ingenieursstellen nicht besetzt werden können, weil Fachkräfte fehlen, die der englischen Sprache mächtig sind und die Bereitschaft mitbringen, eine gewisse Zeit an einem anderen Standort zu arbeiten. Auch die Situation der 230 Zeitarbeitnehmer und das Ungleichgewicht bei der finanziellen Vergütung im Vergleich zu den Festangestellten kam zur Sprache. Werkleitung und Betriebsrat vertreten unterschiedliche Auffassungen, aber verfolgen das gleiche Ziel: Die Sicherung des Standorts Rothenburg, der sich innerhalb des Konzerns aber auch gegen große Konkurrenten wie Bosch, Siemens und Miele behaupten muss. Es sei ein gutes Zeichen, meinte der Kirchenmann, wenn trotz Kontroversen immer wieder ein Kompromiss gefunden wird, der die Entwicklung des Ganzen im Blick hat. „Das spricht für ein gutes Betriebsklima.“
Zusammen sind die Kirchen nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland, doch Mitarbeiter in Diözesen und Diakonie haben zum Teil weniger Rechte als Kollegen in anderen Wirtschaftszweigen. Auch die Diener Gottes stecken in wirtschaftlichen Zwängen.