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Es geht auch anders

Datum:
Veröffentlicht: 2.6.20
Von:
Norbert Jungkunz, Kath. Betriebsseelsorge - Neue Presse 23.05.2020
von Norbert Jungkunz, Kath. Betriebsseelsorge Coburg

Endlich! Er sehnte sich diese Momente herbei, auf dem Motorrad den Fahrtwind zu spüren, schwerelos durch die Wechselkurven zu schwingen, gehalten vom Grip der Reifen, dann das Gas aufzudrehen , den Motor aufheulen zu lassen und auf der Geraden rasend schnell Boden gut zu machen. Freiheit. Lebendig fühlen. Endlich.

Der Raser bemerkte nicht, als er den PKW rechts überholt hatte, dass der Fahrer erschreckt abbremst. Auch der ohrenbetäubende Lärm seiner Aktion juckte den freiheitsliebenden Motorradfahrer wenig. Ist das die Freiheit, nach der sich alle sehnen, frage ich mich, dass es endlich wieder schneller, höher und weiter geht.

Egotrip, Rücksichtslosigkeit und Gier nach Leben und Haben sind keine guten Grundlagen für das Zusammenleben. Die Habsucht, einst eine Sünde hat im Kapitalismus eine steile Karriere hingelegt. Sie ist zum Wirtschaftsmotor geworden. Nicht mehr Gerechtigkeit, Existenzsicherung oder Gemeinwohl werden als Grundidee des Wirtschaftens verstanden, sondern der Erwerb von Geld und immer mehr Geld. Dieses erschöpfende Hamsterrad wurde zum Schutz der Gesundheit aller weltweit angehalten. Die Pandemie offenbart einen Riss in der Zeit. Diese Unterbrechung wirft Fragen auf: Was bin ich, wenn ich nicht arbeite? Wer bin ich, wenn ich nicht einkaufe? Wie kann ich meine Zeit zu Leben mit Sinn füllen? Wo finde ich Unterstützung in der Not? Die Corona-Krise vertieft die bekannten Risse bei Klimagerechtigkeit, sozialer Gerechtigkeit und Steuerungerechtigkeit weltweit.

Was lernen wir aus dieser Unterbrechung? Die Sehnsucht nach dem Miteinander bleibt wertvoll. Gottesdienst am Sonntag, Vereinsleben, Freundschaften, selbst die Arbeit nur virtuell zu managen, ist auf Dauer kein Ersatz für die menschliche Begegnung, die unser Leben wirklich ausmacht.

Was lernen wir aus dem Stillstand? Zu lernen wäre gegenwärtig auch, dass es die gesellschaftlich besonders bedeutenden Tätigkeiten sind, die oftmals schlecht bezahlt werden. Zu lernen wäre, dass die kommunale Daseins- und Gesundheitsversorgung nicht den profitmaximierenden Techniken neoliberaler Denkschulen ausgeliefert werden dürfen. Zu lernen wäre ,mit den Hoffnungsworten von Papst Franziskus, „dass die gegenwärtige Gefahr den automatischen Gang der Dinge unterbricht, unser schlafendes Gewissen aufrüttelt und eine menschliche und ökologische Umkehr bewirkt, die die Vergötzung des Geldes beendet und stattdessen die Würde und das Leben ins Zentrum rückt.“ Er fordert uns zum Umdenken auf, denn eine wettbewerbsorientierte und individualistische Kultur mit ihrem frenetischen Rhythmen von Produktion und Konsum, mit ihrem übertriebenen Luxus und übermäßigen Gewinnspannen für wenige, muss eine Veränderung durchlaufen und sich neu strukturieren.

Die frohe Botschaft vom Reich Gottes, die Jesus Christus seinen Jüngerinnen und Jüngern ans Herz gelegt hat, fordert zur Auseinandersetzung mit den Fragen der Gerechtigkeit auf. Denn das „Leben in Fülle“, das der Evangelist Johannes als Versprechen des Jesus von Nazareth beschreibt, ist nicht für das Jenseits gedacht, sondern allen Menschen gewidmet. Das ist Herausforderung und Hoffnung zugleich. Viele Leute in den sozialen Bewegungen dieser Erde leben diese Hoffnung. Sie wissen schon: Es geht auch anders.

Das wissen auch die erfahrenen Bikerinnen und Biker, die das gute Wetter für eine Ausfahrt nutzen. Aufeinander zu achten hat für die mit Herz und Verstand durchs Leben Fahrenden große Bedeutung. Mögen Sie alle der Spur der Hoffnung folgen!