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Heinrichsblatt-Serie zum 60-jährigen Bestehen der Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg (Teil I)

HB Serie 60 Jubiläum 2018
Datum:
Veröffentlicht: 15.10.18
Von:
Andreas Kuschbert, HB Nr. 39

Menschen in ihren Nöten wahrnehmen

Die moderne Arbeitswelt unterliegt einem ständigen Wandel. Globalisierung, anhaltende Technisierung und vor allem die Instrumentalisierung der Erwerbsarbeit durch das neoliberale Wirtschaftssystem setzen diese gewaltig unter Druck. Wer noch Arbeit hat, muss fürchten, diese zu verlieren und ist damit zu Zugeständnissen bereit. Wer bereits arbeitslos ist, findet kaum noch einmal einen qualifizierten Arbeitsplatz. „Die konkrete Arbeit hat ihre Schattenseiten und manchmal sogar ihr Abgründe“, konstatierte jüngst der Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg, Dr. Manfred Böhm. Umso wichtiger ist und wird die Arbeit der Betriebsseelsorge, die im Erzbistum Bamberg seit inzwischen 60 Jahren aktiv ist. In einem Gespräch mit dem Heinrichsblatt blicken Dr. Manfred Böhm und Norbert Starost, ein „Urgestein“ der Bamberger Betriebsseelsorge, zurück auf die Anfänge.

Entstanden ist die Betriebsseelsorge aus der Arbeit der „Christlichen Werkgemeinschaften“, die unabhängig von der KAB durch Pater Prinz SJ um 1949 in Nürnberg entstanden sind. „Die Werkgemeinschaften hatten damals die Eroberung der Betriebe für Christus als Ziel“, so Norbert Starost.

1951 bekamen die Werkgemeinschaften mit Paul Wünsche einen eigenen hauptamtlichen Sekretär, der mit eigener Kasse die etwa 35 Betriebsgruppen in der Erzdiözese Bamberg betreute. 1952 wurde Norbert Przibyllok Geistlicher Beirat der Christlichen Werkgemeinschaften.

Mitte der 1950er Jahre trugen Pater Prinz und Paul Wünsche dem damaligen Erzbischof DDr. Josef Schneider das Konzept der Betriebsseelsorge vor. Danach sollte es einen Betriebsseelsorger in Nürnberg für den südlichen Teil der Diözese und einen Betriebsseelsorger in Bamberg für den nördlichen Teil des Bistums geben.

In einer Aktennotiz des späteren Domkapitulars Przibyllok heißt es zur Ausrichtung der Betriebsseelsorge: „Die Betriebsseelsorge kennt weder Grundsatz- noch Aktionsprogramme und keine politischen Aktionen, sondern versucht die Katholische Soziallehre denen zu vermitteln, die sich mit katholischen Verbandsprogrammen identifizieren, aber doch eine Orientierung für ihr soziales Handeln in der Arbeitswelt von der Kirche erwarten.“

Für Przibyllok war es wichtig, Betriebsseelsorge deutlich von der KAB-Verbandsarbeit abzugrenzen. Während die KAB damals ein breites Betreuungsangebot (Freizeiten, Erholungen, Familientreffen) hatte, war für die Betriebsseelsorge die Kontaktarbeit wichtiger. Es sollten Betriebsräte ebenso besucht werden wie Gewerkschaftler und Arbeitgeberverbände.
Bei den Gesprächen mit den Mitarbeitern in den Betrieben sollte es in erster Linie um das seelsorgerische Verständnis für die persönlichen Schwierigkeiten in sozialen Konflikten gehen, nicht um die programmatische Unterstützung der Kirche.

„Es sollten keine Menschen für die Kirche rekrutiert werden“, sagt Norbert Starost. „Es sollte dafür gesorgt werden, dass die Menschen in ihren Nöten wahrgenommen werden.“ „Und daran hat sich bis heute nichts geändert“, ergänzt Dr. Manfred Böhm. „Im Mittelpunkt der Arbeitnehmerpatoral steht nicht die Kirche ,um ihrer selbst willen‘, sondern es geht ihr um die Fagen und Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Für Böhm gehört die Arbeitnehmerpastoral angesichts der Entwicklungen in der Arbeitswelt zu den zentralen pastoralen Betätigungsfeldern, „die in hohem Maße zur Glaubwürdigkeit des kirchlichen Selbstverständisses beiträgt.“

Erinnerungen

Sehr genau erinnert sich Norbert Starost, der einst selbst Betriebsrat war, an seine Anfänge als Betriebsseelsorger Anfang der 1970er Jahre. Damals sei Norbert Przibyllok – seit 1964 offizieller Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum – auf ihn zugekommen und habe ihn „angeworben“. Starost: „Ich bin dann regelrecht Klinken putzen gegangen, und ich merkte schnell, dass ich die Kontakte zu den Gewerkschaftssekretären haben musste.“ So gab es zum einen die Angst vor einer „christlichen Gewerkschaft“, zum anderen war es damals undenkbar, als Katholik Mitglied im DGB zu sein. „Zu Vielen habe ich schnell Kontakt bekommen“, erzählt Starost. „Bei Manchem dauerte es aber auch länger.“ Als einen wichtigen Gesprächspartner bezeichnet der Betriebsseelsorger den damaligen Erzbischof DDr. Josef Schneider, der der neuen Institution sehr offen gegenüberstand. Starost: „Er suchte oft das Gespräch mit mir und wollte von den Schwierigkeiten in der Arbeitswelt wissen.“ Ein wichtiger Schrittmacher für die Entwicklung der Betriebsseelsorge war die Würzburger Synode (1971 – 1975), in deren Nachklang in vielen deutschen Diözesen Betriebsseelsorgen entstanden und zugleich in den Pfarreien Sachausschüsse „Berufs- und Arbeitswelt“ gegründet wurden, was eine Vernetzung von Kirche und Arbeitswelt mit sich brachte. „Die Kontaktarbeit mit den Pfarreien vor allem in den großen Städten war sehr intensiv und lief auch gut“, so Norbert Starost. „Das war wirklich eine intensive und fruchtbare Zusammenarbeit.“

Auch für den späteren Seelsorgeamtsleiter und damit Chef der Betriebsseelsorge, Dr. Valentin Doering, war die Arbeit der Betriebsseelsorge ein wichtiges Anliegen, „und wir bekamen das entsprechende Geld für unsere Arbeit und hatten auch die Freiheit, konzeptionell zu arbeiten“, berichtet Norbert Starost.
Als es in den 1970er Jahren dann zu gravierenden Betriebsschließungen gerade in der Schuh-, Textil- und Prozellanbranche kam, war es nach den Worten von Dr. Manfred Böhm wichtig, „dass wir bei den Menschen waren, ihnen zur Seite standen.“ Diese Zeit war dann auch der Beginn der Arbeit mit Arbeitslosen. „Die Menschen wurden nach Vierzehnheiligen eingeladen, und es gab Kurse mit über 50 Teilnehmern“, erzählt Böhm. Kurse, die es bis heute gibt, „aber das ist die Aufgabe von uns: die Schattenseiten der jeweiligen Arbeitswelt in den Blick nehmen und dabei unbeirrt die Menschen in den Betrieben begleiten“.
Und Norbert Starost fügt hinzu: „Ohne die Betriebsseelsorge einst und heute hätte die Kirche keinen direkten Zugang zu den Betrieben über das Fabriktor gehabt und hätte das auch heute nicht.“