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"Hilfe, meine Kollegen machen mich fertig"

Datum:
Veröffentlicht: 16.9.22
Von:
Bernd Buchner

Konflikte am Arbeitsplatz können unterschiedliche Gesichter haben.

Büroterror: "Hunderte suchen Hilfe“, oder: „Hilfe, meine Kollegen machen mich fertig“. Schlagzeilen wie diese sind in den vergangenen Jahren häufig in den Medien aufgetaucht. Sie beleuchten ein Phänomen, das inzwischen verstärkt in die öffentliche Diskussion gekommen ist: Konflikte am Arbeitsplatz, die bis hin zum Mobbing mit seinen schwerwiegenden Folgen führen können. Auch die Kirchen stellen sich dem Thema, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht: zum einen als große Arbeitgeber, die sie in Deutschland sind, zum anderen auf dem Feld der Seelsorge: Menschen, die unter wie auch immer gearteten Konflikten am Arbeitsplatz leiden, finden Hilfe und Beratung bei der katholischen Arbeitnehmerpastoral.

„Einladung an alle“

Susanne Schneider ist Mentorin, Mediatorin und Systemischer Coach. Für die Betriebsseelsorge des Erzbistums berät sie seit rund anderthalb Jahren Menschen bei Konflikten und Mobbing in der Arbeitswelt. Das Angebot richtet sich an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unabhängig von Religion und Konfession. Schneider hat das auf „Mobbing-Beratung“ verengte Tätigkeitsfeld allgemein auf Konflikte ausgedehnt: „Es ist eine Einladung und ein Angebot an alle Menschen, die unter Konflikten im Arbeitskontext leiden“, sagt sie.

Mobbing mache nur rund fünf Prozent der Konflikte aus, betont Schneider. „So inflationär der Begriff verwendet wird, so wenig treffend wird er eingesetzt.“ Den wenigsten sei bekannt, „was Mobbing wirklich ist“, so die Expertin. In der Praxis komme Mobbing nicht so häufig vor. Wenn aber doch, „ist es schrecklich und verursacht großes Leid, zerstört die Menschen gesundheitlich und existenziell“.

Mit einem professionellen „Schnelltest“ lässt sich im Gespräch herausfinden, ob tatsächlich ein Mobbingverdacht besteht. Bei Mobbing sind die Betroffenen regelmäßig und über einen längeren Zeitraum schikanösem Handeln ausgesetzt, das mit einer gewissen Systematik erfolgt und immer im Laufe des Prozesses ein Machtungleichgewicht erzeugt.

Konflikte unterhalb der Mobbingschwelle treten wesentlich häufiger auf und haben ihre Ursachen in den unterschiedlichen Bedürfnissen oder Ansichten der Beteiligten. Zu einem guten Teil sind sie aber auch systemisch bedingt. Das bedeutet: Die Organisation der Arbeit und die Gestaltung des Arbeitsumfelds können Konfliktpotenzial bergen; wo es keine klaren Regeln gibt, sind Unsicherheiten und folglich Streit und Differenzen oft vorprogrammiert.

Deshalb verwundert es nicht, dass Konflikte und Mobbing gerade im Sozial- und Gesundheitsbereich sowie im Bildungswesen besonders häufig auftreten: Schulen, Kindergärten, Kliniken, Universitäten. Viele dieser Einrichtungen sind kirchlich. Auch die öffentliche Verwaltung ist überdurchschnittlich betroffen – Fachleute führen dies darauf zurück, dass die vermeintliche Sicherheit des Arbeitsplatzes Menschen dazu bringt, in sozialen Systemen zu verharren, auch wenn sie mental ruiniert werden.

"Konflikte sind Chefsache“, sagt Susanne Schneider und verweist auf die Mehrdeutigkeit dieses Satzes: Zum einen gehen Probleme am Arbeitsplatz oft von Vorgesetzten aus – zu über zwei Dritteln, schätzen Experten. Das Machtungleichgewicht führt nach Schneiders Worten zu einer „Entmächtigung“ der Betroffenen, auch zur Isolation im Kollegenkreis. Als Beschäftigter wende man sich von jenen ab, die schwach seien, im Laufe des Mobbingprozesses als „absonderlich“ gälten. Zum anderen ist es Aufgabe von Chefs, Konflikte zu lösen und Mobbing zu unterbinden. „Es braucht eine Instanz, die ‚Stopp‘ sagt“, erläutert die Beraterin.

Im Erzbistum gibt es das Gesprächsangebot bei Konflikten und Mobbing in der Arbeitswelt seit 2006. Susanne Schneider wirkt auch im regionalen Netzwerk Konfliktkultur und Mobbing in Arbeitswelt und Schule mit, in dem zahlreiche Organisationen und Institutionen verbunden sind: katholische und evangelische Betriebsseelsorger, Gewerkschaften, das Nürnberger Menschenrechtsbüro, Fachleute des Nürnberger Klinikums und andere. Das Netzwerk vermittelt unter anderem die Beratung und Begleitung von Betroffenen, will die Öffentlichkeit informieren und sensibilisieren und das Thema Konflikte am Arbeitsplatz auf der politischen Agenda halten.

„Wir tauschen uns informell aus und spielen Themen nach vorne“, betont die Verhaltenstherapeutin und Supervisorin Angela Rischer, die das Klinikum Nürnberg im Netzwerk vertritt. Einige Mitwirkende sind zum Beispiel ehrenamtliche Sozialrichter – vor Gericht werde das Thema Mobbing meist abgeschmettert, weil es keine Gesetze wie in Skandinavien oder Italien gebe, sagt Rischer. Das Netzwerk stellt zum Beispiel Anfragen an den Landtag, spricht gezielt Politiker und Mandatsträger an, besucht Betriebe. Ein Erfolg: Im Koalitionsvertrag der Ampel in Berlin steht, dass ein neuer Mobbing-Report erarbeitet werden soll. Der letzte ist zwei Jahrzehnte alt. „Uns war wichtig, dass wir etwas Konkretes fordern“, unterstricht Angela Rischer.

Auch rechtliche Beratung

Das Netzwerk in der Region Mittelfranken gibt es seit 25 Jahren. Neben der Hilfe für Betroffene und deren Kollegen bieten die Fachleute auch rechtliche Beratung an. „Es ist ganz wichtig, dass wir für die Menschen da sind, ansprechbar sind“, sagt die Verhaltenstherapeutin. Wenn eskalierende Arbeitssituationen oder Mobbingfälle auftreten, schauen sich die kirchlichen Betriebsseelsorger oft die Situation an, sie kennen in der Regel die Betriebe und die Betriebsräte. Sie können nach den Worten von Angela Rischer auch Hilfestellung anstoßen, die über die individuelle Beratung hinausgeht. Das Ziel: Wie kann man Personen vor weiterer Schikane schützen?

Wenn Menschen Kontakt mit Susanne Schneider aufnehmen, meist per Telefon oder E-Mail, macht die Beraterin erst einmal einen telefonischen oder persönlichen Termin mit den Betroffenen aus. Dabei erklärt sie ihr Vorgehen, kann gegebenenfalls an andere Fachleute weitervermitteln. Die meisten Menschen, so Schneider, „wollen Handlungsoptionen für sich selbst“. Sie höre erst einmal zu. Wichtig ist ihr, dass die Betroffenen in eine Art „Metaposition“ gelangen, von der aus sie auf ihre eigene Situation blicken können. Die Länge der Beratung kann ganz unterschiedlich sein: von einem einmaligen Gespräch bis hin zu einem ganzen Jahr mit Treffen alle zwei Wochen oder monatlich. Die längste Beratung, die Susanne Schneider bisher hatte, zog sich über ein Jahr: ein schwerer Fall von Mobbing, ein Mann Mitte 50, fertig mit der Welt, „der vor dem Nichts steht“, ihr beim Gespräch im Stuhl zusammengesunken gegenübersaß.

Es sind nach ihren Worten belastende Situationen, „wenn man erlebt, wie schwer die von Mobbing Betroffenen psychisch und physisch mitgenommen sind“. Sie bräuchten intensive Begleitung. Oft ist es für die Betroffenen besser, den Betrieb zu verlassen, als sich der Situation weiter auszusetzen. Denn ein zu beobachtendes Phänomen bei Mobbing lautet: Je schwächer man sich fühlt, desto eher zieht man negative Handlungen und Blicke auf sich. Wer zum Opfer gemacht wird, leidet unter Isolation und isoliert sich selbst, um sich zu schützen. Am ende verliert nicht selten der Betroffene seine Gesundheit und seinen Arbeitsplatz, während der Mobber unbehelligt weiter seine Arbeit machen kann und keinerlei Einschränkungen erlebt. Dies ist ein fataler Regelkreis.

Und die Beratenden? Auch sie brauchen Unterstützung, Susanne Schneider etwa tauscht sich in Einzel-Supervisionen und regelmäßig mit Kolleginnen und Kollegen über ihre Erfahrungen aus. Trotz mancher Belastungen: „Mir macht diese Aufgabe total Spaß“, sagt die Mentorin und Mediatorin, „weil sie sehr vielseitig ist.“ 95 Prozent der Menschen, die zur Beratung kommen, seien sehr dankbar, dass die katholische Kirche ein solches Angebot bereithalte.

(Heinrichsblatt Nr. 38)