Zum Inhalt springen

In Nordhalben gehen die Lichter aus

Datum:
Veröffentlicht: 1.8.11
Von:
Fränkischer Tag - Heike Schülein

Podiumsdiskussion

Die Katholische Betriebsseelsorge Kronach lud zu einer Podiumsdiskussion über die Schließung des PolytecHolding-Standorts in Nordhalben ein. Rund 120 Gäste kamen in die Nordwaldhalle.

Nordhalben — „Kronach leuchtet und in Nordhalben gehen die Lichter aus?“ – Dies war nur eine der gewollt provozierenden Fragen, die der Moderator, Betriebsseelsorger Eckhard Schneider, in den Raum warf.
Berechtigt war die Aussage allemal, denn dass die Polytec Holding ihre Produktion zum 31. Juli 2012 einstellen und ab 31. Dezember 2012 ihren Standort in Nordhalben schließen wird, daran gibt es – laut den Podiumsteilnehmern – kaum noch Zweifel. „Ich heiße zwar Wunder. Aber ich kann keine Wunder vollbringen“, antwortete Betriebsratsvorsitzender Gerd Wunder auf die Frage Schneiders, ob der Standort Nordhalben noch eine reelle Chance habe.

Etwas Hoffnung verbreitete MdB Hans Michelbach (CSU), der als einziger überörtlich geladener Politiker nach Nordhalben angereist war. „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wer sich nicht wehrt, hat schon verloren. In Nordhalben gibt es ein großes Potenzial an Fachkräften. Wir müssen unsere Kräfte bündeln. Nordhalben würde 28 Prozent Staatsförderung für alle Investitionen erhalten“, appellierte er. Chancen, die mögliche Schließung doch noch zu verhindern, sah er insbesondere in einem Gespräch mit der Leitung der Firma Boshoku Europe. Das Toyota-Tochterunternehmen hatte zum 1. Juli 2011 die „Interior“- Sparte von Polytec erworben. „Der japanische Automobilzulieferer hat einen Ruf zu verlieren und der Polytec-Unternehmer Friedrich Huemer gilt als ,Heuschrecke‘. Ich wäre bereit, mit der Firma zu sprechen“, bot Michelbach an. Seiner Meinung nach sollte auch das Geschäftsgebaren Huemers von der EU überprüft werden. „Es ist nicht rechtmäßig, wenn Nordhalben geschlossen wird und er die Hand womöglich für Fördergelder für das Werk in Saalburg-Ebersdorf aufhält“, sagte Michelbach.

Die mögliche Übernahme der inNordhalben beschäftigten Arbeitnehmer durch dieses Zweigwerk war ebenfalls Thema. Während Mathias Eckhardt den Beschäftigten zuriet: „Für alle ab 50 Jahrenwird es fast unmöglich, eine andere Arbeitsstelle zu finden“, erklärte Gerd Wunder: „In Saalburg-Ebersdorf wird nach einem Vierschichtsystem gearbeitet – sieben Tage die Woche. Samstag und Sonntag sind Regelarbeitstage.“ Dieses System mache die Beschäftigten „fertig“. Das Betriebsklima sei dort sehr schlecht. Uli Spreen von der IGMetall in Coburg und Gesamtbetriebsratsvorsitzender Alexander Dell betonten, dass selbst ein immer noch im Raum stehender Lohnverzicht von 30 Prozent die Schließung nicht hätte verhindern können. „Es waren keine Aufträge da“, stellte Dell klar.
Dem pflichtete Spreen bei: „Polytec hat ein unseriöses Geschäftsgebaren. Sie selbst hat fast nichts akquiriert, sondern immer halbinsolvente Firmen und bestehende Aufträge aufgebaut. Das ist ein fatales Schneeballsystem.“

Die Hände gebunden

Laut Zweitem Bürgermeister Michael Wunder (CSU) steht der Gemeinderat voll hinter den Mitarbeitern. „Leider sind uns die Hände gebunden. Wir können nichts tun.Die ,Musik‘ wird woanders gemacht.“ So sah es auch Rechtsanwalt Michael Bossmann, der den Sozialplan erarbeitet hatte. „Wir können unternehmerische Entscheidungen nicht beeinflussen, sondern nur durch einen Sozialplans versuchen, aufzufangen und abzulindern“, räumte er ein.

Pfarrer Winkler fügte hinzu: „Oftmals wurden Stimmen laut wie: „Was wollt Ihr denn mit Eurer 35-Stunden-Woche, mit Eurem Tarifvertrag und der hohen Abfindung? Ihr verdient doch viel mehr als die anderen!“ Er fragte: „Wo bleibt hier die Solidarität unter den Menschen?“ Seiner Meinung nach behandele man immer nur Symptome, aber niemand gehe an das System. Die Menschen müssen aufgeklärt werden, wie heute Wirtschaft funktioniert. Er mutmaßte: „Nordhalben wird nicht der letzte Fall sein. Das wird immer so weitergehen.“

Podiumskiskussion über Polytec

Forum „Rückblick“ Teilnehmer waren Rechtsanwalt Michael Bossmann aus Regensburg, Uli Spreen von der IG Metall in Coburg, Betriebsratsvorsitzender Gerd Wunder, Nordhalbens evangelischer Pfarrer Holger Winkler, Zweiter Bürgermeister Michael Wunder (CSU), Gesamtbetriebsratsvorsitzender Alexander Dell.

Forum „Perspektiven“ Daran beteiligten sich – neben Michael Wunder, Holger Winkler und Gerd Wunder – MdB Hans Michelbach, DGB-Regionalvorsitzender Mathias Eckardt, katholischer Gemeindereferent Bernd Sorgenfrei, Manfred Köstner von NohA und der Zweite Bevollmächtigten der IG Metall, Jürgen Apfel.

Absagen Enttäuscht waren Initiatoren und Podiumsteilnehmer über die Absagen der Werksleitung und geladenen Politiker. Während Werkleiter Hubert Stipfenbacher – laut Schneider – auf die Einladung nicht reagiert habe, hatte Polytec-Geschäftsführer Ralf Drees schriftlich abgesagt. Enttäuschung machte sich insbesondere über die terminlich begründete Abwesenheit von Landrat Oswald Marr oder einem seiner Vertreter breit.

Fragen Aus dem Publikum kam nur eine Frage. Dabei erkundigte sich Kevin Wunder – auch namens verschiedener Arbeitgeber – nach dem Punktesystem, das dem Sozialplan zugrunde liegt.

Polytec Holding Der Zulieferer der Automobilindustrie hat den Hauptsitz in Österreich. Vorstandsvorsitzender ist Friedrich Huemer. Die Polytec Group war 2008 unter den 40 umsatzgrößten Unternehmen Österreichs. Nachdem die Polytec Group im Quartal 2010 noch geringe Verluste erwirtschaftete, scheint sie inzwischen finanziell wieder gut dazustehen. So konnte der Konzernumsatz im ersten Quartal 2011 um 21,9 Prozent auf 200,8 Millionen Euro gesteigert werden (Quellen: Homepages Polytec und „IndustrieMagazin“).

Beschäftigte Das Nordhalbener Werk zählt 180 aktive Beschäftigte und 27 ruhende Arbeitsverhältnisse.

Abfindung Für die rund 270 Arbeitnehmer der Werke Nordhalben undWackersdorf stehen 9,5 Millionen Euro Abfindung zur Verfügung. Die Abfindung wird anhand eines Punktesystems ermittelt. Darin fließen beispielsweise Betriebszugehörigkeit sowie das Alter der Beschäftigten und die Anzahl der von ihnen geleisteten Arbeitsstunden mit ein.

Musik Für die musikalische Umrahmung des Abends war die gebürtige Nordhalberin Silvia Wachter mit Liedbeiträgen verantwortlich.