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Längeres ALG I für Ältere

Datum:
Veröffentlicht: 24.1.08
Von:
Ursula Pfäfflin Nefian - Scheinfeld "Die Insel"
Verzögertes Gesetzgebungsverfahren benachteiligt Betroffene, deren Arbeitslosengeld I-Anspruch Anfang 2008 endet

Die Koalition hat sich in letzter Minute darauf geeinigt, die Arbeitslosengeld I-Bezugsdauer für über 50jährige Arbeitslose zu verlängern. Ein entsprechender Gesetzentwurf des „Siebten Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze” wurde am 14. Dezember 2007 vom Kabinett gebilligt. Das Gesetz muss aber noch vom Bundestag beschlossen werden. Eine Verabschiedung ist frühestens Mitte Februar 2008 zu erwarten. Das Gesetz könnte dann zum 1. März 2008 in Kraft treten.

Der Gesetzentwurf sieht eine längere Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld I (Alg I) für ältere Arbeitslose vor:

Alter:                   ab 50 Jahre
Dauer:                eine Anspruchsdauer von 15 Monaten (bei einer Vorversicherungszeit von 30 Monaten
                            innerhalb der letzten 5 Jahre)
Rechtsnorm:    § 434r Abs. 1 Nr. 1 SGB III (Entwurf)

Alter:                  ab 55 Jahre
Dauer:               eine Anspruchsdauer von 18 Monaten  (bei einer Vorversicherungszeit von 36 Monaten innerhalb 
                            der letzten 5 Jahre)
Rechtsnorm:    § 434r Abs. 1 Nr. 2 SGB III (Entwurf)

Alter:                  ab 58 Jahre
Dauer:               eine Anspruchsdauer von 24 Monaten (bei einer Vorversicherungszeit von 48 Monaten innerhalb
                           der letzten 5 Jahre)
Rechtsnorm:   § 434r Abs. 1 Nr. 3 SGB III (Entwurf)

Quelle: Tacheles e.V.

Von dieser begrüßenswerten Verbesserung für ältere Erwerbslose könnten nach Angaben des Arbeits- und Sozialministeriums in den ersten drei Monaten 2008 rund 30.000 bis 40.000 Personen profitieren. Nach dem Willen des Kabinetts soll diesen Personen nach Verabschiedung des Gesetzes rückwirkend das verlängerte Alg I gewährt werden. Die rückwirkende Gewährung der Versicherungsleistung Alg I wirft aber viele Probleme auf. Denn nach dem Ablauf des Alg I-Anspruchs rutschen Erwerbslose in die Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II (Alg II) oder sie fallen ganz aus dem Leistungsbezug heraus.

Damit die Betroffenen auch tatsächlich rückwirkend ihren Anspruch auf Alg I geltend mach können, sollten sie unbedingt Vorkehrungen treffen:

1. Persönliche Arbeitslosmeldung
Einen Anspruch auf Alg I hat ein Erwerbsloser nur, wenn er sich vorher persönlich arbeitslos gemeldet hat. Es ist daher für alle Arbeitslosen, die in das dreimonatige „Übergangsloch” fallen, dringend erforderlich, sich nach Auslaufen des bisherigen Bewilligungsabschnittes erneut persönlich arbeitslos zu melden und einen Fortsetzungsantrag auf Alg I zu stellen.

2. Antrag auf Alg I jetzt stellen
Es ist zu empfehlen auch vor Auslaufen des bisherigen Alg I-Anspruchs nach der alten Regelung einen Antrag auf verlängertes Alg I zu stellen. Die Agentur für Arbeit hat ihre Mitarbeiter intern dazu angewiesen, solche Anträge entgegenzunehmen.

3. Gleiche Pflichten wie bisher
Ebenfalls zu beachten ist, dass für das dreimonatige „Übergangsloch” die gleichen Pflichten wie bisher im Alg I-Bezug bestehen. Nach einer fristlosen Kündigung müssen sich Arbeitnehmer innerhalb einer Woche arbeitsuchend melden. Sie müssen sich zum Eintritt der Arbeitslosigkeit persönlich arbeitslos melden oder bei einer geplanten Abwesenheit außerhalb des orts- und zeitnahen Bereichs die behördliche Unerreichbarkeit („Urlaub”) zuvor beantragen. Auch nach einem Urlaub ist eine persönliche Meldung in der Agentur für Arbeit nötig.

4. Überbrückendes Alg II
Für viele vom dreimonatigen „Übergangsloch” Betroffene dürfte die Sicherstellung des Lebensunterhalts zum Problem werden. Alg I wird als Versicherungsleistung ohne Bedürftigkeitsprüfung gewährt. Alg II bekommen dagegen nur erwerbslose Hilfebedürftige, die ihre Existenz nicht aus Einkommen (auch des Ehe- oder Lebenspartners) und Vermögen oder aus Ansprüchen gegenüber Dritten bestreiten können.

Einige, die in das dreimonatige „Überhangsloch” fallen werden, werden im Sinne des SGB II (Alg II-Recht) verwertbares Vermögen haben, z.B. eine kapitalbildende Lebensversicherung mit einem Rückkaufwert von mehr als 150 € pro Lebensjahr oder eine nicht selbstgenutzte Immobilie. Normalerweise schließen solche „verwertbaren” Vermögenswerte SGB II-Leistungen aus. Nach unserer Auffassung würde aufgrund der in Aussicht gestellten rückwirkenden Alg I-Ansprüche die Verwertung einer Lebensversicherung oder Veräußerung einer Immobilie eine „besondere Härte” darstellen. Ganz besonders z. B. dann, wenn durch den lägeren Bezug von ALG I und einem nahtlos daran anschließenden Rentenbezug die Beantragung von ALG II gar nicht mehr nötig wäre.

Das hieße, die Betroffenen stecken in der dreimonatigen Übergangsfrist fest, weil der Gesetzgeber nicht in der Lage war, rechtzeitig das entsprechende Gesetz auf den Weg zu bringen. Nun die Verwertung zu verlangen bzw. mit Hinweis auf Vermögen Alg II-Leistungen abzulehnen würde für die Betroffenen mit Sicherheit eine unzumutbare Härte darstellen. Dies insbesondere, da die Träger des Alg II die vorab gewährte Leistung durch die jeweilige Agentur für Arbeit zurückerstattet bekommen, wenn Alg I-Ansprüche rückwirkend greifen.

5. Keine Forderungen für überbrückende Alg II-Bezieher
Schließlich dürfte es nicht zulässig sein, das SGB II-Forderungsinstrumentarium auf überbrückende Alg II-Bezieher anzuwenden. Eingliederungsmaßnahmen sollen nur durchgeführt werden, wenn sie im Einzelfall „erforderlich” sind. Dabei sind die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Bei überbrückendem Alg II-Bezug sind SGB II-Eingliederungsmaßnahmen (Ein-Euro-Jobs, Trainingsmaßnahmen…) im Regelfall nicht erforderlich und erst recht nicht wirtschaftlich. Zudem sind die Anspruchsvoraussetzungen für Sofortangebote nicht erfüllt, da die überbrückenden SGB II-Bezieher zuvor SGB III-Leistungen erhalten haben.

Daraus folgt, Ein-Euro-Jobs und Sofortangebote für überbrückende Alg II-Bezieher sind nicht zulässig.

6. Kein Übergangsloch zu Lasten der Betroffenen
Die Verlängerung des Alg I-Bezugs für ältere Erwerbslose sollte nach dem Willen der Großen Koalition bereits zum Januar 2008 in Kraft treten. Sowohl Kanzlerin Merkel als auch Arbeitsminister Scholz versicherten, dass trotz des verzögerten Gesetzgebungsverfahrens eine Verlängerung des Alg I-Anspruchs rückwirkend gewährleistet werde. Ungeachtet der oben dargelegten Sicherheitsvorkehrungen dürfen die von der Rückwirkung des „Siebten SGB III-Änderungsgesetzes” Betroffen deshalb keine Nachteile erfahren. Sowohl das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales als auch die Bundesagentur für Arbeit sind daher in der Pflicht darauf hinzuwirken, dass die zuständigen Behörden Ansprüche auf Leistungen umgehend anerkennen und bewilligen und Übergangslösungen zügig umsetzen.