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Nürnberger Betriebsseelsorger Oswald Greim verabschiedet sich nach 33 Jahren aus dem hauptamtlichen Dienst

Oswald Greim
Datum:
Veröffentlicht: 15.7.13
Von:
Heinrichsblatt - Stefanie Hattel

"Wir haben die Arbeitswelt in die Kirche geholt"

Betriebsseelsorger, die direkt aus der Arbeitswelt kommen, sind selten geworden. Oswald Greim ist so ein „Quereinsteiger“. Der gelernte Industriekaufmann und Sozialsekretär engagierte sich schon als Jugendlicher in der katholischen Verbandsarbeit. Mit Mitte zwanzig stellte er sein Engagement ganz in den Dienst der Kirche und folgte Hannjörg Neundörfer ins Amt des Diözesansekretärs der Arbeitnehmerpastoral am Standort Nürnberg. Im Gespräch mit Dr. Manfred Böhm, Leiter der Arbeitnehmerpastoral im Erzbistum Bamberg, wurden seine Dienstjahre noch einmal lebendig.

Herr Greim, schon als 19-Jähriger haben Sie sich für eine bessere Arbeitswelt eingesetzt...
􀀀 Oswald Greim: Im Frankenwald, wo ich aufgewachsen bin, war ich bei der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ). Angeregt durch Seminare der CAJ bin ich in die Gewerkschaft eingetreten, wurde Betriebsjugendvertreter, war schließlich im Kreisjugendausschuss des DGB-Kreises und Vertreter der Gewerkschaftsjugend im Vorstand der NGG für Oberfranken. Dann wechselte Hannjörg Neundörfer, mein Vorgänger in Nürnberg, auf eine Pfarrstelle, und der damalige Betriebsseelsorger und ehemalige CAJ-Kaplan Norbert Przibyllok bot mir dessen Stelle an.

Das ist jetzt 33 Jahre her. Seither haben Sie die Nürnberger Arbeitswelt mitgeprägt. Gab es Schlüsselmomente?
􀀀 Oswald Greim: Gleich zu Beginn meiner Dienstzeit, Mitte der 80er Jahre, traten zwei Betriebsräte des Elektronikherstellers Standard Elektrik Lorenz AG, kurz SEL, in den Hungerstreik. Der damalige Stadtdekan Theo Kellerer, dessen Pfarrei St. Josef dem Firmenstandort in der Gießereistraße direkt gegenüberlag, hatte angekündigt: Sollten die Verhandlungen scheitern, können die auf meinem Grund ihr Zelt aufschlagen und streiken. Der Hungerstreik zog sich über 14 Tage hin, und wir haben die Streikenden betreut. Da sind Geschäftsführer nach Bamberg und Eichstätt gefahren, um die Bischöfe zu bitten, dem Einhalt zu gebieten. Die SEL (heute Alcatel-Lucent Deutschland AG) hat damals einen Standort nach dem anderen geschlossen. Über den Daumen gingen da in 20 Jahren mehr als 10 000 Arbeitsplätze verloren. Umgekehrt haben wir die Arbeitswelt auch in die Kirche geholt und die Betriebsratsvorsitzenden von AEG-Hausgeräte oder Triumph-Adler in St. Anton sprechen lassen. Beim ökumenischen Bußruf gegen den Skandal der Arbeitslosigkeit wurde ein Jahr lang allmonatlich in katholischen und evangelischen Kirchen Nürnbergs am Sonntag eine Kerze mit den aktuellen Arbeitslosenzahlen auf den Altar gestellt, die Zahlen verlesen und Fürbitten gesprochen.

Was sagt man jemandem, der seine Arbeit und damit seine Existenzgrundlage verliert?
􀀀 Manfred Böhm: Wir haben natürlich keine Arbeitsplätze im Gepäck.

􀀀 Oswald Greim: Aber wir helfen den Betroffenen mit der Bürokratie, die mit dem Arbeitsplatzverlust verbunden ist, zurechtzukommen. Nach einer Betriebsschließung haben wir uns oft hinterher mit den Entlassenen und dem Betriebsrat getroffen. Die erzählten dann, wie mit ihnen von Seiten der Verwaltung umgegangen wird. Da wär’ ich schnell vom Betriebsseelsorger zum freien Arbeitslosenseelsorger geworden, so groß war die Nachfrage. Deshalb haben wir Mitte der 80er Jahre Beratungsstellen aufgebaut und gemeinsam mit der evangelischen Kirche das Ökumenische Arbeitslosenzentrum (ÖAZ) gegründet.

􀀀 Manfred Böhm: Das Entscheidende ist, dass die Betroffenen begleitet werden, dass jemand da ist, und zwar lange, bevor es zum Aus kommt. Betriebsseelsorge lebt von personaler Kontinuität. Da kann man nicht alle drei Jahre wechseln. Von daher sind 33 Jahre (an Greim gewandt) gerade richtig.

􀀀 Oswald Greim: Für die seelische Hygiene ist es auch wichtig, sich sagen zu können: "Wir haben alles versucht. Wir sind auf die Straße gegangen und haben Alternativen aufgezeigt." Die Leute lassen sich auf unsere Aktionen ja nur ein, wenn eine Alternative steht, die in den Verhandlungen halbwegs durchsetzbar ist. Wo das nicht passiert, gehen die Leute gedrückter 'raus und nehmen das als Schuld mit, nach dem Motto: Wir haben nicht genug getan.

􀀀 Manfred Böhm: Im Grunde geht’s um Solidarisierung. Die Verantwortlichen handeln nur auf Druck. Deshalb ist es wichtig, sich zu organisieren. Voraussetzung ist für uns immer, dass es vor Ort einen Betriebsrat gibt, denn wir hängen uns an das Zugangsrecht der Gewerkschaften an. Schwierig wird's in Firmen ohne Betriebsrat. In vielen neuen Branchen wie den Callcentern im Dienstleistungssektor haben wir deshalb kaum Handlungsmöglichkeiten.

Ein markanter Einschnitt war auch die Einführung von Hartz IV...
􀀀 Oswald Greim: Richtig. Mitte der 90er Jahre hat der damalige Wirtschaftsminister Günter Rexrodt mal einen Vorschlag gemacht: Niedriglohn schafft neue Arbeit. Wir haben das damals noch satirisch aufgegriffen und eine Aktion gestartet: „Wir arbeiten unter Tarif.“ Ingenieure und Facharbeiter konnten es sich gerade noch leisten, zu Demonstrationszwecken vorübergehend auf ihr Tarifgehalt zu verzichten. Aber schon damals gab es etliche, die gesagt haben: ,Ich arbeite doch schon unter Tarif. Auf was soll ich denn noch verzichten? Ich komm' eh schon nur gerade so über die Runden.’ Nur wurde das von der Arbeitgeberseite damals noch still und heimlich praktiziert.

􀀀 Manfred Böhm: Damals hat unsere Aktion hohe Wellen geschlagen. Wir waren damit in den Tagesthemen, sogar der Spiegel kam vorbei und fragte: Meint ihr das ernst? Heute ist der Ausstieg aus dem Tarifvertrag Normalzustand.

􀀀 Oswald Greim: Mit Hartz IV hat sich der Niedriglohnsektor dann durchgesetzt. Jetzt muss jede Arbeit zu jedem Lohn angenommen werden. Arbeit bei sittenwidrigem Lohn nennt man das. Das sieht sogar das Bundessozialgericht so. Wenn aber eine Bundesbehörde Leute in sittenwidrige Löhne vermittelt, ist das ein staatlich geförderter Dumpinglohn. Wenn ein Niedriglöhner mit Hartz IV dann aufstocken muss, finanziert letztlich die Allgemeinheit aus ihren Steuergeldern den Billigarbeitsplatz mit.

􀀀 Manfred Böhm: So macht man dem Einzelnen auch Druck. Weil jeder weiß, ein Jahr Arbeitslosigkeit heißt, ich muss die Hosen herunterlassen und bin dann an der Armutsgrenze. Dadurch werden Arbeitnehmer gefügiger. Dafür hat die Gesetzgebung gesorgt. Mit dem Schreckensszenario von Hartz IV hat man den Arbeitgebern ein Mittel in die Hand gegeben, die Löhne nach unten zu drücken. Und die Niedriglöhner sind doppelt gestraft: Sie haben schon jetzt nichts, weil sie mit prekärer Beschäftigung arm gehalten werden und sie haben später nichts, weil sie keine ausreichende Rente beziehen. Aus dieser Armutsfalle wieder herauszukommen ist extrem schwer. Und, das ist das Fatale, die Betroffenen werden auch noch selbst dafür verantwortlich gemacht. Denn Arbeitslosigkeit wird bei uns als Problem Einzelner dargestellt, sie wird nicht als strukturelles Problem wahrgenommen.

􀀀 Oswald Greim: Im Prinzip sind die Niedriglöhner diejenigen, die Deutschlands führende Stellung in Europa mitgeschaffen haben, ohne selbst davon zu profitieren. Ihr erzwungener Lohnverzicht – also niedrigere Lohnkosten der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer – hat unsere Exportüberschüsse erst ermöglicht.

Was sind die drängenden Probleme der nächsten Jahre?
􀀀 Oswald Greim: Momentan kriegen wir so langsam die Leiharbeit in den Griff. Vielleicht setzen wir den flächendeckenden Mindestlohn ja auch noch durch. Denn mit den Werkverträgen ist das nächste Fass aufgemacht: Bei einer Aktion gegen Leiharbeit vor dem Arbeitsamt sprach mich ein Leiharbeiter an: „Als Leiharbeiter hab’ ich 13 Euro die Stunde verdient. Als ich jetzt fest angestellt wurde, erfuhr ich, dass die ,Festen' nur elf Euro bekommen, weil der Betrieb nicht tarifgebunden zahlt.“ Da hat der Leiharbeitsunternehmer besser bezahlt als der Entleihbetrieb. Wenn tariflose Werkvertragsunternehmen Teile der Produktion übernehmen und dort vorher tariflich bezahlte Metallfacharbeiter beschäftigt waren, die in der Gewerkschaft sind, dann verdiente der vorher bis zu 23 Euro und der Werkvertragskollege in der Regel gerade mal gut die Hälfte.

Und wie geht es für Sie weiter, Herr Greim?
􀀀 Oswald Greim: Jetzt ist erst Mal Wahljahr. (Oswald Greim kandidiert im Wahlkreis Nürnberg-Süd für die Partei Die Linke für den Bundestag.) Außerdem will ich auch im Pfarrgemeinderat von St. Ludwig weiterhin aktiv sein.

Die Fragen stellte Stefanie Hattel

Böhm Manfred