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Solidarisch ist man nicht allein!

1. Mai 2020 Solidarisch ist man nicht alleine
Datum:
Veröffentlicht: 27.4.20
Von:
Manfred Böhm, Kath. Betriebsseelsorge

Überlegungen zum 1. Mai 2020

Wie so vieles andere fällt auch der diesjährige Feiertag zum 1. Mai in der gewohnten Form der Virenkrise zum Opfer: Keine Kundgebungen, keine Maireden, keine Feierlichkeiten.

Das Motto des DGB „Solidarisch ist man nicht allein“ scheint dabei der derzeitigen Lebenswirklichkeit vollkommen zu widersprechen. Ständig wird uns doch vermittelt, wir müssten gerade jetzt allein bleiben, ja die aktuelle Form von Solidarität heiße, zum anderen auf Distanz zu gehen und Abstand zu halten. Und tatsächlich, keine Frage: Den körperlichen Kontakt zu anderen Menschen zu vermeiden, ist aus Gesundheitsschutzgründen derzeit das Gebot der Stunde.

Und doch widerspricht diese inhaltliche Füllung von Solidarität im Grunde unserer bisherigen Lebenserfahrung.

Der DGB hat mit seinem Motto den Nagel geradezu auf den Kopf getroffen und fordert uns damit heraus darüber nachzudenken, welche Solidarität wir in unserer Gesellschaft künftig brauchen und wollen. "Solidarität" ist in gewerkschaftlichen Kreisen einer der Kernbegriffe. Er wird so häufig und manchmal floskelhaft benutzt, dass wir aufpassen müssen, ihn nicht abzuschleifen und zu entleeren.

Das DGB Motto bringt auch das Anliegen der Kath. Soziallehre wie in einer Kurzformel auf den Punkt. Solidarität „ist nicht ein Gefühl vagen Mitleids oder oberflächlicher Rührung wegen der Leiden so vieler Menschen nah oder fern. Im Gegenteil, sie ist die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das `Gemeinwohl´ einzusetzen, das heißt für das Wohl aller und eines jeden, weil wir für alle verantwortlich sind.“ (Johannes Paul II)

Solidarität braucht also über die individuelle Betroffenheit hinaus gesetzlich verankerte und damit verlässliche gesellschaftliche Strukturen. Sie ist eine kollektiv vereinbarte Handlungsregel, dass die ungleichen Lebensrisiken der einzelnen innerhalb einer definierten Gemeinschaft gegenseitig ausgeglichen werden.

Das Geheimnis der Solidarität besteht also darin, dass die weniger Schwachen für die Schwächeren, die weniger Armen für die Ärmeren und die weniger Kranken für die häufiger Kranken einstehen. Denn es ist offensichtlich, dass der sog. freie Markt, auf den wir uns ohne Corona wirtschaftlich so gerne verlassen, für eine solche kollektive Handlungsregel blind ist und eine solche gegenseitige Verwiesen- und Verbundenheit nicht herstellen kann.

Angesichts der durch den neoliberalen Kapitalismus durchlöcherten und entstellten gesellschaftlichen Solidarität, der seit Jahrzehnten einseitigen Verteilung des wirtschaftlichen Zuwachses und damit der Deklassierung ganzer Gruppen am unteren Rand der Gesellschaft wachsen gerade den Gewerkschaften enorme Aufgaben zu. Denn Solidarität braucht gesellschaftliche Träger und angesichts der vorherrschenden Strukturen auch Gegenmacht. Als reiner moralischer Appell wird sie ungehört verhallen oder gar verlacht werden.

„Solidarisch ist man nicht alleine!“ Dieser Satz wird in der Zeit nach Corona (also dann, wenn unter dem Diktat des freien Marktes jeder wieder für sich kämpfen soll) hoffentlich seine ganze Stärke und Bindekraft für uns alle entfalten. Und dazu werden wir die Gewerkschaften als „unentbehrliches Element des sozialen Lebens“ (Johannes Paul II) mehr denn je brauchen.

Download - Überlegungen zum 1. Mai 2020 - siehe unten!

1. Mai 2020 Solidarisch ist man nicht alleine