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Stellungnahme zum Kompromiss der Hartz IV-Reform

Datum:
Veröffentlicht: 4.4.11
Von:
Ursula Pfäfflin Nefian, "Die Insel", Scheinfeld

in der Nacht vom 20.2.11 zum 21.2.2011 einigte sich der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat auf Neuregelungen für Hartz IV-Empfänger. Was Arbeitsministerin Ursula von der Leyen als „ein neues Kapitel in der Sozialgeschichte“ (FLZ vom 22.2.2011) bezeichnete, ist bei genauerer Betrachtung ein alter Hut: Sparen auf dem Rücken der sozial Schwachen.

Mit seinem Urteil vom 9.2.2010 hatte das Bundesverfassungsgericht von der Bundesregierung verlangt, die Berechnungsgrundsätze für die Regelsätze im SGB II transparent und bedarfsdeckend zu gestalten und gleichzeitig den besonderen Bedarf für Kinder und Jugendliche zu berücksichtigen.

Ende letzten Jahres stellte die Regierung das Ergebnis ihrer Berechnungen vor: für erwachsene Leistungsbezieher sollte es eine Erhöhung von 5 Euro monatlich geben, bei Kindern sei zum Teil bereits zu viel gezahlt worden, man wolle deren Sätze aber nicht senken. Wie die Regierung auf dieses Ergebnis kam blieb erst mal offen. Sozialverbände, die eigene Berechnungen angestellt hatten, kamen statt der 364 Euro im Regierungsentwurf auf einen notwendigen Regelsatz von 400 bis 420 Euro. Später stellte sich dann heraus, dass auch die Bundesregierung ursprünglich zu einem ähnlichen Ergebnis kam, daraufhin jedoch ganz einfach die Bezugsgröße der Referenzgruppegruppe änderte. Statt wie bislang die Einkommen der untersten 20 Prozent der Bevölkerung heranzuziehen, wurde dies kurz auf die untersten 15 Prozent reduziert. Schon hatte man das gewünschte Ergebnis.

Mit dem nun gefundenen Kompromiss hat man sich auf eine Erhöhung von 5 Euro rückwirkend zum 1.1.2011 und um weitere 3 Euro zum 1.1.2012 geeinigt. Mit einer am Bedarf von Millionen Menschen orientierten Berechnung hat dieses Geschacher nicht das Geringste zu tun.

Vergessen wir nicht: mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 wurden massive Sparmaßnahmen für Hartz IV-Bezieher und untere Einkommensgruppen beschlossen, die bereits zum 1.1.2011 in Kraft sind. So wurden denjenigen, die aus dem Arbeitslosengeld I – Bezug ins ALG II abgerutscht sind, der Zuschlag nach § 24 a SBG II ersatzlos gestrichen, der den Betroffenen ein Jahr lang bis zu 160 Euro und eine weiteres Jahr lang noch bis zu 80 Euro mehr gewährleistet hatte.

Gleichzeitig wird das Elterngeld für die meisten Bezieherinnen und Bezieher von ALG II seit dem 1.1.2011 als Einkommen angerechnet. Das jetzt so bejubelte Bildungspaket für ältere Kinder wird also zum großen Teil mit dem Geld finanziert, das man jüngeren Kindern weggenommen hat. Und nicht zu vergessen: das Kindergeld, das eigentlich jedem Kind unabhängig vom Einkommen der Eltern zusteht, wird bei Kindern aus Hartz IV-Familien voll auf das Einkommen angerechnet. Begründung: der Regelsatz, der beispielsweise bei Kindern bis 6 Jahren 215 Euro beträgt, reiche zur Deckung ihres Existenzminimums völlig aus.

Ebenfalls wegfallen soll der Rentenversicherungsbeitrag, der auf ALG II-Leistungen bislang in die Rentenversicherung einbezahlt wurde, womit wachsende Altersarmut vorprogrammiert ist.

Abzuwarten bleibt auch, wie die im Entwurf des Regelbedarfsermittungsgesetzes weiter vorgesehen Änderungen im Kompromiss aussehen. Beispielsweise war ursprünglich geplant, dass bei Sanktionsbescheiden in Zukunft keine Rechtsbehelfsbelehrung mehr erfolgen muss. Die Möglichkeit einer Kenntnisnahme sollte ausreichen, also wenn z.B. irgendwo im Jobcenter ein Aushang mit Rechtsbehelfen vorhanden ist. Dies spräche jeglichen Rechtsverständnisses Hohn und würde, wie weitere Regelungen, eine rechtliche Schlechterstellung von Hartz IV-Beziehern im Unterschied zu anderen Bürgern bedeuten.

Einzig positiv zu bewerten ist am jetzt vorliegenden Kompromiss die Ausdehnung des Mindestlohnes auf weitere Branchen. Nur wenn wir irgendwann flächendeckende, bedarfsorientierte Mindestlöhne haben, wird sich die Armut in Deutschland verringern. Dann können Menschen, die in Vollzeit arbeiten, ihre Familien wieder ernähren, ohne auf steuerlich finanzierte Sozialleistungen angewiesen zu sein. Sie können angemessen in Renten-, Pflege-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung einbezahlen und damit soziale Risiken absichern. Und sie können mit ihren Steuern diejenigen absichern, die zeitweise nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt selbst aufzukommen.