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Vertrauen, Wertschätzung und Solidarität

Datum:
Veröffentlicht: 3.9.18

Dr. Manfred Böhm über "Kultur in der Arbeitswelt"

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! – Dieser immer wieder gerne zitierte Satz wird ja bekanntlich dem russischen Kommunisten Lenin zugeschrieben. Wenn das stimmt, treffe ich in vielen Betrieben und Unternehmen gerade in den Führungsetagen auf erstaunlich viele Leninisten. Klingt paradox, ist aber erklärlich.

Der Druck in der Arbeitswelt steigt seit vielen Jahren quer durch alle Branchen kontinuierlich an. Im Letzten ist es stets der Druck der Finanzmärkte, der darauf abzielt, immer mehr mit immer weniger Kosten in immer kürzerer Zeit zu erledigen oder zu produzieren. Egal ob es sich um Industrie oder Dienstleistung, um Verwaltungen oder Schulen, um Krankenhäuser oder den öffentlichen Dienst handelt – alle Bereiche müssen sich kontinuierlich daraufhin kontrollieren lassen, dass sie auch wirklich die Interessen des Geldes auf ihrer Agenda ganz oben stehen haben. Effizienz heißt das Leitbild, nach dem wir alle funktionieren sollen. Die dazugehörige Kultur ist die des Eigeninteresses und der Konkurrenz.

Mit dem Druck in der Arbeitswelt steigen auch die Leistungsverdichtung, die Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen und die psychischen Belastungen für die arbeitenden Menschen an.

Unzufriedenheit und Ellenbogenmentalität können sich breit machen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse und niedrige Löhne, die zum Leben nicht reichen, tragen dazu nicht unwesentlich bei. Das Betriebsklima und die Motivation sind nicht selten auf dem Nullpunkt und ziehen die Produktivität in Mitleidenschaft.

Und doch: Die Arbeit ist für die meisten Menschen mehr als nur ein Job zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts. Einen großen Teil ihrer wachen Zeit verbringen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Arbeitsplatz im Betrieb. Für gar nicht wenige, besonders langjährig Beschäftigte, ist er zu einer Art zweiter Heimat geworden, auf die sie auch persönlich stolz sein möchten.

Was lässt sich in einer solchen Situation machen? Der Druck, der auf der gesamten Arbeitswelt lastet, ist natürlich erst mal da. Es steht nicht in unserer Macht, diese Situation schnell zu ändern. Auch ihn einfach zu ignorieren ist keine Lösung. Dennoch müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht zwangsläufig in Ohnmacht und Resignation versinken. Für die Humanisierung der Arbeitswelt wäre es ein enormer Fortschritt, wenn wir an drei Stellschrauben Verbesserungen erzielen könnten:

  • Eine Kultur des Vertrauens stärkt die Identifikation mit dem Betrieb und der eigenen Arbeit. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben sich im Lauf von Jahren ein Erfahrungswissen angeeignet, das nicht selten den an Hochschulen gelehrten und schablonenhaft angewandten Abläufen überlegen ist. Nicht immer wird dieser Erfahrungsschatz in der Arbeitswirklichkeit entsprechend gewürdigt.
    Vertrauen stärken heißt Verantwortung so weit als möglich an die arbeitenden Menschen abgeben und sie in alltägliche Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Eine Kultur des Vertrauens nimmt auch die gesetzlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten im betrieblichen Alltag ernst. Gerade um die natürlicherweise auftretenden Konflikte und Auseinandersetzungen niederschwellig lösen zu helfen, spielt die demokratisch gewählte Interessensvertretung eine wichtige Rolle. Sie ist im besten Fall der Garant dafür, dass die berechtigten Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Geltung gebracht werden und trägt somit zum Wohl des gesamten Betriebs Entscheidendes bei.
  • Vertrauen setzt eine Kultur der Wertschätzung voraus. Alle möglichen Individuen mit allen möglichen Interessen und Bedürfnissen treffen in der Arbeitswelt aufeinander. Dazu unterschiedliche Nationalitäten mit unterschiedlichen Kulturen. Eine Arbeitsstätte ist ein richtiger Schmelztiegel – ein Ort der Einheit in Vielfalt. Im besten Fall! Damit es so ist oder bleibt, können alle, quer durch sämtliche Hierarchieebenen, einen Beitrag leisten. Wie? Durch Wertschätzung und Respekt! Gegenseitige Achtung und respektvoller Umgang sind zwischenmenschliche Motivationsbeschleuniger, die das Leben für alle im täglichen Betrieb leichter machen.
    Wertschätzung meint, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur in ihrer wertschöpfenden betrieblichen Funktion wahrzunehmen und sie als solche zu bewerten, sondern sie als Menschen zu sehen mit vielfältigen Potentialen und allen Stärken und Schwächen.
  • Um dem oben beschriebenen systemischen Druck stand zu halten braucht es auch eine Kultur der Solidarität miteinander. Tatsache ist, dass der Zwang der Verhältnisse oft genug vereinzelt. Damit gerade die weniger Durchsetzungsfähigen dabei nicht völlig unter die Räder kommen, sind alle Möglichkeiten der betrieblichen Interessensvertretung auf- und auszubauen.
    Es braucht einen neuen Zusammenhalt, um dem Gefühl des Ausgeliefertseins etwas entgegensetzen zu können. Die betriebliche Mitbestimmung muss von möglichst vielen mit Leben gefüllt werden, um einen fairen und möglichst gerechten Umgang miteinander zu finden.

Dr. Manfred Böhm, Leiter der Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg

Heinrichsblatt-Serie zum Jahr der Kultur (Nr. 34 vom 26.08.2018)