Vieles hat sich verändert. Nicht zum Guten

Eine „Übergangslösung“ feiert Geburtstag: Ökumenische Arbeitsloseninitiative „Die Insel“ besteht seit 25 Jahren
Jedes Unternehmen würde sich wohl freuen über die steigende Kundenzahl. Waren es 1991 noch 236 Menschen, die in die Landwehrstraße 15 in Scheinfeld kamen, waren es im vergangenen Jahr 752. So ist das, was vor 25 Jahren als Übergangslösung gedacht war, längst nicht mehr wegzudenken: die ökumenische Arbeitsloseninitiative „Die Insel“.
Als Mitte der 1980er Jahre viele Menschen bei ADIDAS ihren Job verloren, wollten beide Kirchen nicht tatenlos zusehen. Die anfänglichen Gottesdienste und Angebote für Betroffene wurden aber wenig angenommen. „Es kamen zwar Leute, aber kaum jemand hat sich als arbeitslos geoutet“, wie die Leiterin der „Insel“, Ursula Pfäfflin Nefian, berichtet.
Also haben Mitglieder der beiden Gemeinden überlegt, was können wir tun, damit sich die Leute trauen. Sie haben sich umgeschaut, welche Angebote es gibt und sich mit dem damaligen evangelischen Amt für Industrie- und Sozialarbeit kurzgeschlossen. Ein Träger wurde im katholischen Bildungswerk im Landkreis gefunden, später von der Betriebsseelsorge im Erzbistum übernommen. Zum 7. Januar 1986 konnte Ursula Pfäfflin Nefian mit ihrer Arbeit beginnen.
Seither hat sich Vieles verändert. Nicht aber zum Guten. So musste trotz steigender Kundenzahlen die Arbeitszeit verringert werden. Grund hierfür war der Sparzwang im Erzbistum. Finanziert wird eine zweite Stelle nun vor allem durch Spenden und Bußgelder, aber auch durch den Stundenabbau. Obwohl das Arbeitspensum mehr wurde und wird, hat Ursula Pfäfflin Nefian ihre Stelle auf 35 Stunden reduziert, ihre Kollegin von 19 auf 15. Gesichert ist die Stelle aber nur bis Dezember. Von Jahr zu Jahr stellt sich immer wieder die Frage, ob sie finanziert werden kann. „Es wäre eine Katastrophe, würde die Stelle wegfallen.“
Schließlich sind die Beratungen nicht nur mehr geworden, sondern auch komplizierter aufgrund der geänderten Gesetze. Auch die Berechnung der Leistungen wurde komplizierter und Leistungs-Bescheide sind oft nicht nachvollziebar. Früher waren Klagen oder Widersprüche die Ausnahme. „Heute habe ich mehrere in der Woche“, sagt die Beraterin.
Seit der Einführung von Hartz IV (Arbeitslosengeld II) ist die Beratung zur Existenzsicherung drastisch angestiegen. „Die Armut ist sehr nach oben gegangen, das merken wir hier deutlich.“
Verändert hat sich auch das Alter der Rat suchenden Menschen. Anfangs lag der Schwerpunkt bei Älteren – über 50-Jährigen. Inzwischen ist der Altersdurchschnitt deutlich nach unten gegangen, so Ursula Pfäfflin Nefian. Selbst Schulabgänger suchen ihre Hilfe, oder Eltern von Schulabgängern. Schwerpunktmäßig berät die Fachfrau Menschen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren.
„Früher habe ich auch Hausbesuche gemacht“ erinnert sich die Beraterin. Der Landkreis ist groß und der öffentliche Nahverkehr unzureichend. Dazu aber bleibt heute keine Zeit mehr.
Seminare und Projekte
Neben der Beratungsarbeit, die etwa zwei Drittel ausmacht, gilt es Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, Informationsveranstaltungen zu rechtlichen Fragen zu organisieren, Freizeitangebote und Seminare zum richtigen Bewerben oder zur Stärkung eigener Resourcen anzubieten.
Auch werden immer wieder verschiedene Projekte realisiert. Zum Beispiel zur häuslichen Energiesparberatung – in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern wie dem Landkreis und dem Bund Naturschutz. Inzwischen wurde allerdings auch hier wieder die finanzielle Unterstützung gekürzt, so dass keine 50 kostenlosen Energiespar-Beratungen mehr angeboten werden können, sondern nur noch 20 im Jahr.
Ein Begleitdienst wurde ins Leben gerufen, um Betroffene beim Gang zum Jobcenter nicht alleine zulassen.
Großer Beliebtheit erfreut sich das Projekt „Große Lesen für Kleine“, für Kinder, deren Eltern zur Tafel gehen.
Neuestes Projekt ist die „Bürgerbewegung für soziale Gerechtigkeit Neustadt/Aisch-Bad Windsheim“, an der sich die Insel beteiligt. Initiativen und Verbände wie die Katholische Arbeitnehmerbewegung, die Aischgründer Tafel, der VdK, die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde oder Gewerkschaften wollen sich gegen soziale Verarmung in Deutschland wehren und fordern unter anderem gleichen Lohn für gleiche Arbeit oder gute Bildung statt Bildungsgutscheine.
Dass der einstigen Übergangslösung in absehbarer Zeit die Arbeit ausgeht, das sieht Ursula Pfäfflin Nefian nicht. Die Insel ist nötiger denn je. Wenn einzelne Politiker regional bereits wieder von Vollbeschäftigung reden, sind das leere Zahlen. Denn Stellenzuwachs gibt es überwiegend in der Zeitarbeit und bei geringfügig Beschäftigten. „Selbst wenn jemand 91 Euro für ein paar Stunden Arbeit bekommt, wird das als Stelle gezählt“. Gezählt wird nicht, wie viele Menschen, vor ihrer Stelle leben können. Neben einem Mindestlohn, der Zeitarbeit unattraktiver macht, würde sich die Beraterin der Arbeitsloseninitiative eine armutsfeste Grundsicherung wünschen. Die Forderungen der Wohlfahrtsverbände liegen bei 430 bis 500 Euro im Monat. Der um fünf Euro erhöhte neue Satz von derzeit 364 Euro für den Haushaltsvorstand wird vor dem Verfassungsgericht kaum Bestand haben, meint Ursula Pfäfflin Nefian.
Auch das Bildungspaket ist wenig effektiv und mit seinem Gutscheinsystem ausgrenzend. „Erst neulich hat mir eine Mutter erzählt, dass sie ihren Sohn vom Sport abgemeldet hat“, berichtet die Beraterin. Was nützen zehn Euro monatlich für den Mitgliedsbeitrag, wenn kein Geld für Fußballschuhe, Trikot und Fahrtkosten da sind? Was nützt der Zuschuss zum Mittagessen, wenn es an den meisten Schulen keinen zuschussfähigen Mittagstisch gibt? Brigitte Pich
Info:
Gefeiert wird das Jubiläum der Insel am Freitag, 20. Mai. Nach einem Gottesdienst um 18 Uhr in der Stadtpfarrkirche Scheinfeld mit Erzbischof Dr. Ludwig Schick, findet ein Stehempfang mit Grußworten im katholischen Pfarrzentrum statt.
Anmeldung erbeten: 0 91 62 / 75 77; E-Mail: dieinsel@t-online.de
Nächstes Treffen der Bürgerbewegung: Mittwoch, 25. Mai, 18.30 Uhr im Mehrgenerationenhaus der Caritas.