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„Wir brauchen breite Bündnisse“

Datum:
Veröffentlicht: 2.12.13
Von:
Stefanie Hattel, Heinrichsblatt

Warum politischen Worten keine Taten folgen – 11. Sozialpolitischer Buß- und Bettag in Nürnberg

Nürnberg – Eine Diskussion um eine gerechtere Wirtschaftsordnung droht leicht – gerade in Zeiten von Koalitionsverhandlungen – in politische Richtungskämpfe zu münden. Das Thema des 11. Sozialpolitischen Buß- und Bettags „Gerechtigkeit umsetzen! – Warum Worten keine politischen Taten folgen“ ließ diese Möglichkeit durchaus zu. Doch Ines Pohls politische Analyse des status quo vor der deutschen Regierungsbildung und den europäischen Parlamentswahlen zielte auch auf den Werthorizont der Deutschen ab. Christlich beheimateten Menschen stellte sich in der evangelisch-lutherischen Peterskirche schnell die Frage: Was lässt mich als Mensch mit Überzeugungen politisch aktiv werden? Und warum werde ich es dann nicht?

„Es herrscht eine Atmosphäre freundlicher Ahnungslosigkeit“ beschrieb Gastrednerin Ines Pohl, Chefredakteurin der Berliner taz, die Stimmung im Land. Zwei Drittel der politisch Interessierten verstünden die Zusammenhänge zur Eurokrise nicht, zitierte die Journalistin eine Allensbach-Studie vom Oktober 2012. Kein Wunder bei dem Niveau-Verfall des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das dem Bildungsauftrag nicht mehr gerecht werde. Kein Wunder, wenn junge Menschen mit Bachelor-Studiengängen zu Fachidioten ausgebildet werden und die Möglichkeit, sich allgemein zu bilden abgeschafft werde, meldete sich ein Zuhörer zu Wort. Pohl konterte: „Noch nie hatten so viele so hohe Abschlüsse in Deutschland. Noch nie war die Bildungsdurchlässigkeit so hoch.“ Formal könne von Bildungsnotstand daher keine Rede sein. Dann aber fügte sie hinzu: „Es herrscht zu viel partielles Wissen. Grundwissen, das durch eigenes Wachsen und eigene Zugänge entstanden ist, kommt zu kurz.“ Die Konsequenz: „Es fehlt an solidem Wissen, das nötig ist, um ein Gefühl für gesellschaftliche Verantwortung zu entwickeln.“ 

Global denken lautete Pohls Botschaft an die politisch Verantwortlichen, Bürger inbegriffen. „Globalisierung und EU-Integration haben die Wirksamkeit gewerkschaftlicher Strategien eingeschränkt. Die Entwicklung geht zu ungunsten des Faktors Arbeit“, sagte sie. Gegensteuern könne man mit einer reformierten Asylpolitik – wer eine global gerechte Wirtschaft schaffe, beuge Flüchtlingsbewegungen vor – höheren Löhnen in Deutschland und einer besseren Finanzierung des Staats, so einige der Lösungsvorschläge.

„Innovation entsteht an den Rändern“

Gleichzeitig hob sie die Bedeutung lokaler und regionaler Netzwerke hervor: „Politische Innovation entsteht an den Rändern, nicht in der Mitte der Gesellschaft“, sagte sie. Man müsse aus der kleinen Verfasstheit herausgehen, nur dann gebe es Impulse in die Breite. In diesem Zusammenhang lobte Pohl die „Denkschriften“ sprich Arbeitspapiere der Kirchen. Dass immer mehr Regionalzeitungen eingestellt würden, sei auch deshalb problematisch, da es deren Aufgabe sei, zu verfolgen, „was die Kirche, das Pfarramt vor Ort“ tun. „Deutschland ist kein Land für große Revolutionen. Es braucht breite Bündnisse“, schloss Pohl.

Ökumene in der Arbeitswelt

Eins dieser Bündnisse ist seit nunmehr zehn Jahren der Sozialpolitische Buß- und Bettag. Veranstalter sind die beiden großen christlichen Kirchen in Zusammenarbeit mit dem DGB Mittelfranken: das Evangelisch-Lutherische Dekanat Nürnberg, die Evangelische Stadtakademie, der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt der Evangelisch-Lutherischen Kirche (Kda), die Katholische Arbeitnehmerbewegung, die Katholische Betriebsseelsorge, die Katholische Stadtkirche Nürnberg und die Stadtmission Nürnberg. „Ökumene in Nürnberg ist ohne die Gewerkschaften, ohne den Einsatz für die Arbeitswelt kaum denkbar“, sagte Oswald Greim, einer der Mitinitiatoren halb scherzend gegenüber dem Blickpunkt.

Von der Zentrale an die Ränder gehen, so beschrieb auch Martin Plentinger seine Motivation von der Geschäftsführung des Hauses der Katholischen Stadtkirche Nürnberg zur Katholischen Betriebsseelsorge zu wechseln. „Nürnberg ist die Stadt mit der höchsten Arbeitslosigkeit in Bayern. Ein Fünftel lebt in Armut. Das sind 100.000 Menschen“, bezifferte Norbert Feulner (KdA) die Misere vor Ort. In der Südstadt gebe es Straßenzüge, wo 20 bis 30 Prozent aus Prinzip nicht mehr wählen gingen, schob DGB-Regionsvorsitzender Stephan Doll nach. Da bedeute politische Einmischung auch kirchliches Auftreten, sagte Plentinger, der für Manfred Böhm, Leiter der Katholischen Betriebsseelsorge, ins Vorbereitungsteam des Buß- und Bettags nachrückt. Wörtlich sagte er: „In der Arbeitswelt ist Kirche keine Selbstverständlichkeit, aber mittendrin.“ 

Erstveröffentlichung im Heinrichsblatt, Blickpunkt Kirche A, Ausgabe 48 vom 1. Dezember 2013